Der neue AK auf Bundesebene: Furchtlos immer, rückwärts nimmer!

vorwärts – Interview mit den beiden Vorsitzenden Carmen Wegge und Sabine Smentek

In der Rubrik „Parteileben“ interviewt der stellvertretende Chefredakteur Kai Döring die neuen Vorsitzenden des AK „Säkularität und Humanismus“ – die Bundestagsabgeordnete Carmen Wegge aus Oberbayern und Sabine Smentek, ehemalige Bezirksstadträtin Berlin-Mitte und Staatssekretärin für Informations- und Kommunikationstechnologie der Berliner Senatsverwaltung.

Beide verweisen gegenüber dem vorwärts auf die Wichtigkeit einer Vertretung säkularer und humanistischer Interessen in der SPD, dies über „nackte Zahlen“ hinaus, da sich die weltanschaulichen sozialen Realitäten geändert haben. Vor einer solchen gleichberechtigten Vertretung brauche keiner Angst haben.

Der neu gegründete AK soll den Parteivorstand hinsichtlich säkularer Themen beraten, etwa bezüglich der gesetzlichen Neugestaltung der Sterbehilfe, dem kirchlichen Arbeitsrecht und der Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen.

Dabei soll die Arbeit im Austausch mit den anderen Arbeitskreisen und der Partei kritisch wie konstruktiv gestaltet werden. Sabine Smentek betont die „Notwendigkeit, in der SPD eine Anlaufstelle für Menschen zu haben, die sich keinem Glauben zugehörig fühlen“.

Carmen Wegge stellt sich die Frage „welche Privilegien Kirchen noch genießen sollten, wenn die Mehrheit der Bevölkerung nicht mehr bei ihnen Mitglied ist“ und dass andere Insitutionen, die Werte vermitteln, an Bedeutung gewonnen haben.

Ärztliche Suizidhilfe ermöglichen – Autonomie und Liberalität sichern

Als Referentin für dieses komplexe Thema hatten wir Gita Neumann, die
Bundesbeauftragte für Medizinethik und Autonomie am Lebensende des
Humanistischen Verbandes Deutschland (HVD) und dort langjährige Referentin für Lebenshilfe sowie Leiterin der Zentralstelle Patientenverfügung des HVD Landesverband Berlin-Brandenburg gewinnen können.

Sie gab zunächst einen kurzen historischen Abriss zur Suizidhilfe. Andere europäische Länder haben teils seit langem Regularien gefunden, um Angehörigen und Ärzten im Interesse von unheilbar leidenden Schwerkranken rechtliche Sicherheit zu geben, wenn sie diesen helfen wollen, selbstbestimmt aus dem Leben zu scheiden. In Deutschland gab es dagegen bis 2015 überhaupt keine rechtliche Regelung der Hilfe zur Selbsttötung. Wie ein Verbot wirkte allerdings die Verdammung des ehemals sogenannten „Selbstmords“ und ein sehr starkes Tabu. Dieses hatte sich allerdings zu Beginn des 21.Jahrhunderts zunehmend gelockert.

Aufgrund dessen beschloss der Bundestag Ende 2015 ein “Verbot der
geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung“, welches nicht nur für
Suizidhilfevereine, sondern auch für Ärzte galt. Dieser Strafrechtsparagrafen §217 wurde spektakulär im Februar 2020 durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) für nichtig erklärt.

„Ärztliche Suizidhilfe ermöglichen – Autonomie und Liberalität sichern“ weiterlesen

Berliner Resolution 2021

Saekulare Sozis Bundestreffen Berlin 2021-10-30, Fotografie Evelin Frerk

Beschlossen am 30. Oktober 2021 in Berlin

Das Netzwerk säkularer Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen ist erfreut, dass die nächste Bundesregierung von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und der FDP gebildet wird, weil sich damit die Hoffnung verbindet, dass säkulare Themen und Sichtweisen eine bessere Resonanz finden als in der
bisherigen Großen Koalition. Das Netzwerk erwartet, dass in den nun anstehenden Koalitionsverhandlungen folgende Themen angesprochen und gelöst werden:

  1. Durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, das Gesetz von 2015 zum sogenannten Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe ersatzlos aufzuheben, ist es notwendig, dass der neu gewählte Bundestag ein Gesetz zu diesem gesellschafts- und gesundheitspolitisch wichtigen Thema beschließt, das den liberalen Vorgaben des BVerfG entspricht.
  2. Das sog. „Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche“ des § 219a im Strafgesetzbuch ist ersatzlos zu streichen.
  3. Der Verfassungsauftrag in Artikel 140 des Grundgesetzes, die sog. Staatsleistungen an die Kirchen (als Ausgleich für Enteignungen im Rahmen der napoleonischen Kriege und danach durch ein Bundesgesetz abzuschaffen, muss endlich umgesetzt werden. Länderparlamente können erst dann aktiv werden, wenn der Bundestag ein Grundlagengesetz beschlossen hat.
  4. Die generelle Ausnahme kirchlicher Arbeitgeber vom Betriebsverfassungsgesetz in § 118, Abs.2 ist zu streichen und auf die Bereiche der religiösen Verkündung zu begrenzen, also entsprechen dem Tendenzschutz in § 18 Abs.1, damit Arbeitnehmer*innen in Krankenhäusern, Altenheimen und Kindertagesstätten künftig ebenso Streik- und Mitbestimmungsrechte haben wie alle anderen Arbeitnehmer*innen; zugleich wird damit eine Wettbewerbsverzerrung zu Betrieben freier und öffentlicher Träger solcher Einrichtungen beendet.
  5. Sexueller Missbrauch in Kirchen und kirchlichen Einrichtungen muss zwingend von staatlichen Justizorganen aufgeklärt und geahndet werden. Wir fordern eine unabhängige Aufarbeitungskommission auf gesetzlicher Grundlage für bereits verjährtes Unrecht in kirchlichen Einrichtungen ebenso wie in anderen Tatkontexten. Solche Verbrechen an Schutzbefohlenen und Kindern dürfen nicht länger kircheninternen Regelungen überlassen bleiben. Wir unterstützen die Opfer bei ihren Forderungen nach Aufklärung, Hilfe und Entschädigung. Die Arbeit von Betroffeneninitiativen muss aus öffentlichen Mitteln unterstützt werden.

ASJ NRW fordert Selbstbestimmung statt Strafbarkeit von Suizidhilfe

Nachdem das Bundesverfassungsgericht das 2015 beschlossene Verbot der Suizidhilfe (§ 217 StGB) für verfassungswidrig und nichtig erklärt hat, liegen inzwischen mehrere Gesetzentwürfe für eine Neuregelung dieses Feldes vor, über die der Bundestag nun berät. Der Arbeitskreis der Sozialdemokratischen Juristinnen und Juristen (ASJ) in NRW fordert den Arbeitsentwurf von Jens Spahn abzulehnen und stattdessen den Entwurf Karl Lauterbachs zu unterstützen.

Die Säkularen Sozis NRW schließen sich dabei den beiden von der ASJ NRW beschlossenen Stellungnahmen an. Im Mittelpunkt muss die Sicherung der Autonomie jedes Menschen stehen, selbst über sein Leben – und damit auch über dessen Ende – zu bestimmen.

Der Staat darf und soll Regelungen treffen, um einem Unter-Druck-Setzen oder allzu voreiligem Handeln vorzubeugen; er darf dabei aber nicht über das Minimum notwendiger Freiheitseinschränkungen hinausgehen. Insbesondere neue Straftatbestände, wie sie Jens Spahn fordert, sind abzulehnen.

Thorben Kösters (NRW)

Zum Stand der Sterbehilfe – Veranstaltung mit Ingrid Matthäus-Maier am 28. April

Die AsJ und die AG 60 der SPD in NRW haben im Oktober 2020 eine Online Konferenz zur gesetzlichen Sterbehilfe oder genauer gesagt, dem Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung durchgeführt. Das vom Bundestag beschlossene Verbot der Sterbehilfe mit Strafandrohung, wurde vom Bundesverfassungsgericht jedoch für verfassungswidrig und nichtig erklärt.
Außerhalb der juristischen Debatte über den augenblicklichen
rechtlichen Stand der Sterbehilfe, bleiben viele ethische und Verständnis-Fragen offen. Aus diesem Grund wurde die Juristin und ehemalige Verwaltungsrichterin Ingrid Matthäus-Maier eingeladen, um über den aktuellen Stand in Sachen Sterbehilfe aufzuklären.

Die Referentin war Politikerin und erste Frau an der Spitze einer deutschen Großbank. Sie war 22 Jahre Mitglied des Deutschen Bundestages und stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion. Sie ist Gründungsmitglied und Unterstützerin des Netzwerkes der Säkularen Sozis.

Mittwoch, 28. April 2021 um 18.00 Uhr
Zugangslink zur Veranstaltung

Eine Veranstaltung von AG 60plus, AG SelbstAktiv , der ASG der SPD Düsseldorf und dem Netzwerk der Säkularen Sozis NRW

Sterbehilfe menschenwürdig regeln

Pressemitteilung-29.07.2020

Die Menschenwürde muss auch beim Sterben und darüber hinaus gewahrt bleiben,“erklärte Ingrid Matthäus-Maier(SPD). Sie begrüßte ausdrücklich die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, das kürzlich den § 217 StGB für verfassungswidrig und nichtig erklärt hatte. „Besonders enttäuscht sei sie,“ sagte die Juristin, die selbst 22 Jahre dem Deutschen Bundestag angehört hatte, „dass auch einige in meiner eigenen Partei diese Bevormundung von Menschen am Lebensende zugelassen hatten“.

In einer öffentlichen Online-Veranstaltung schilderte Matthäus-Maier ausführlich, wie es zu der Einführung eines neuen Paragraphen ins Strafgesetzbuch gekommen war, obwohl Verfassungsrechtler, Hilfsorganisationen und auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages auf den Verstoß dieser Regelung gegen die Artikel 1 und 2 des Grundgesetzes aufmerksam gemacht hatten. Nach dieser Niederlage, die die Initiatoren dieser Strafrechtsregelung höchstrichterlich erhalten haben, sei es unverständlich, dass Gesundheitsminister Spahn jetzt ausschließlich Befürworter der verfassungswidrigen Hilfeverweigerung um Stellungnahmen zu einem neuen Gesetzentwurf gebeten habe und keinen Vertreter der erfolgreichen Kläger.

„Die Würde des Menschen ist unantastbar, steht an erster Stelle in unserem Grundgesetz. Sie darf nicht zur Disposition verschiedenerWeltanschauungen gestellt werden“, betonte Matthäus-Maier. Aufgabe der Politik sei es jetzt, Regelungen zu schaffen, die eine angemessene Hilfe für Schwerstkranke und Sterbende sichert.„Wir müssen sehr genau darauf achten, dass die Autoren des verbotenen § 217 StGB nicht erneut versuchen,mit einer strikten Neuformulierung die Entscheidungsfreiheit von Sterbewilligen einzuengen und das Urteil des Bundesverfassungsgerichts und die Gebote unserer Verfassung zu unterlaufen. Die ersten Schritte dahin sind schon zu erkennen.“

Norbert Reitz – Mitglied des Sprecherkreises und Pressesprecher der Säkularen Sozis

Sterbehilfe – welche Hilfe ist erlaubt?

Am 6.11.2015 hat der Bundestag die bis dahin seit Jahrzehnten straflose Sterbehilfe in Deutschland mit der Schaffung eines § 217 im Strafgesetzbuch kriminalisiert und das gegen die Auffassung der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung, trotz Widerstand vor allem von säkularen Verbänden und Warnungen renommierter Strafrechtsprofessoren, die Regelung sei verfassungswidrig.

Diese erhoben Verfassungsbeschwerden und erhielten am 26.2.2020 Recht:
Das Bundesverfassungsgericht erklärte den § 217 StGB für verfassungswidrig und nichtig. Er verstoße gegen Art.1 und 2 des Grundgesetzes. Damit ist der rechtliche Zustand aus der Zeit vor dem 6.11.2015 wieder hergestellt, also keine Strafbarkeit der Sterbehilfe. Da das Gericht zwar die Strafbarkeit der Sterbehilfe ablehnt, wohl aber eine Regulierung der Sterbehilfe dem Gesetzgeber erlaubt, hat Gesundheitsminister Spahn aufgefordert, Vorschläge dafür zu machen. Da er in seinem Brief fast nur die Befürworter der verbotenen Regelung anschreibt, nicht aber die – vor allem – säkularen Verbände, die das Verfassungsgerichtsurteil durch ihre Beschwerden herbeigeführt haben, steht zu befürchten, dass mit einer neuen Regelung die Straffreiheit unterlaufen werden soll.

In einer öffentlichen Online-Veranstaltung schildert Frau Matthäus-Maier das Zustandekommen der Vorschrift, den Meinungsstreit, und macht Vorschläge, wie es weitergeht und wie sich Bürgerinnen und Bürger gegen eine restriktive Regulierung der Sterbehilfe wehren können.

Um Anmeldung für dieses Onlineprogramm wird gebeten: presse(at)saekulare-sozis.de

Säkulare Sozis BaWü: Wieder aktiv für’s „Ländle“

Am Mittwoch den 4. März traf sich eine Gruppe Interessierter in der SPD-Landesgeschäftsstelle in Stuttgart, um die Landesgruppe der Säkularen Sozis Baden-Württemberg zu reaktivieren. Bis auf vereinzeltes Engagement in Heidelberg, Tübingen und von Seiten des Landessprechers Nils Opitz-Leifheit, war seit April 2018 nicht mehr viel geschehen.

Dies soll sich nun ändern, denn mit den neu gewählten Landessprechern Rita Haller-Haid und Pavlos Wacker, dem wiedergewählten Nils Opitz-Leifheit und dem kooptierten Vorsitzenden des Bundesprecherkreises, Adrian Gillmann, ist ein richtiges säkulares Team im „Ländle“ unterwegs.

Landessprecher_BaWü
(c)pavlos_wacker

Nach dem Bericht von der Bundesebene, dem Gespräch mit dem Generalsekretär Lars Klingbeil in Berlin, dem Bundestreffen in Frankfurt und den zwei gestellten Anträgen auf Anerkennung auf dem Bundesparteitag in Berlin, ging es auch um die generelle Anerkennung auf Landesebene.

Man war sich einig, dass informelle Gespräche auf Landesebene ebenso zielführend sein können wie Anträge für den Landesparteitag zu entwerfen, um der Gründung eines AK Säkulare BaWü Vorschub zu leisten.

Mit wie ohne Anerkennung wollen die Säkularen Sozis im „Ländle“ Themen und Aktivitäten in die Partei und die Öffentlichkeit tragen. Dazu gehören eine Veranstaltung zum Thema „assistierter Suizid“, aufgrund des aktuellen Urteils des Bundesverfassungsgerichts zur Sterbehilfe, und eine Poodiumsdiskussion zum Thema Ethikunterricht/Religionskunde für alle im Frühherbst. Ergänzend zu diesen zentralen Veranstaltungen in Stuttgart soll es kleinere Themenabende vor Ort sowie auch zum Thema „Religionspolitik“ geben.

Das Urteil des BVerfG zur Sterbehilfe: Ein Weckruf an das Parlament

Ein Kommentar von unserem Bundessprecher Rolf Schwanitz (Sachsen)

Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Sterbehilfe endet nun in Deutschland eine Kontroverse, die sich über viele Jahre hingezogen hat. Am 6. November 2015 hatte der Deutsche Bundestag nach ebenso schwerer wie emotionaler Debatte ein Gesetz verabschiedet, das nur als Suizidhilfeverbotsgesetz bezeichnet werden kann. Das Urteil der Verfassungsrichter darüber ist klar und eindeutig. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht, so die Richter, umfasst auch ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben. „Dieses Recht schließt die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen und hierbei auf die freiwillige Hilfe Dritter zurückzugreifen. Die in Wahrnehmung dieses Rechts getroffene Entscheidung des Einzelnen, sein leben entsprechend seinem Verständnis von Lebensqualität und Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz ein Ende zu setzen, ist im Ausgangspunkt als Akt autonomer Selbstbestimmung von Staat und Gesellschaft zu respektieren.“ (PE Nr. 12/2020 BVerfG vom 26.02.2020) Mit diesem Urteil wird die Beeinträchtigung des Selbstbestimmungsrechts durch das Sterbehilfeverbot beendet und auch das Recht von Sterbehilfeorganisationen in Deutschland durchgesetzt. Zugleich ist nun auch klar, dass ein Recht auf Sterbehilfe nicht auf vorgefasste Fallkonstellationen, zum Beispiel auf schwere Erkrankungen, die unweigerlich zum Tode führen, begrenzt werden darf. Maßstab ist allein die freie Entscheidung des Einzelnen über sich selbst. Bei aller Freude über diesen Erfolg für die freie Selbstbestimmung des Einzelnen darf nicht übersehen werden, dass dieses Urteil auch eine deutliche Ermahnung und ein kritischer Weckruf an den Deutschen Bundestag ist. „Das Urteil des BVerfG zur Sterbehilfe: Ein Weckruf an das Parlament“ weiterlesen