Korso-Forderung zur Reform des staatlichen Religionsunterrichts: Gemeinsam statt getrennt!

Der Koordinierungsrat säkularer Organisationen (Korso) hatte am 23. Juli zu einer weiteren öffentlichen Online-Themenwerkstatt „Religionsunterricht an öffentlichen Schulen“ eingeladen, worüber auch der hpd berichtet hat. (Korso-Cloud-Materialien zur Themenwerkstatt)

Neben dem Ethikprofessor und kritischen evangelischen Theologen Hartmut Kreß, war unser Hamburger Bundessprecher Gerhard Lein aufgerufen einen Impuls zum Hamburger „Religionsunterricht für alle“ beizutragen. Das Ergebnis des Treffens, an dem sich zahlreiche Säkulare Sozis beteiligten, ist ein Konsens über die säkulare Forderung nach einer Reform des Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen: „Gemeinsam statt getrennt!

Hartmus Kreß nahm zur Verfassungslage Stellung, denn kein einziger Staat hat den Religionsuntericht wie Deutschland in seiner Verfassung – Artikel 7, Absatz 3 – als ordentliches Lehrfach verankert. Die historische Debatte innerhalb des Parlamentarischen Rates, die sich besonders am Religionsunterriht enzündete, hatte 1949 zur Folge, dass immerhin die Garantie der Theologischen Fakultäten wegfiel und die Gestaltung des Religionsunterrichts nunmehr nach den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften und nicht mehr nach den Grundsätzen der Kirchen erfolgen sollte. Was erhalten blieb, war die verfassungsmäßige Garantie des konfessionellen Religionsunterrichts.

Diese Garantie würde nach Kreß jedoch sachlogisch nicht in die individuellen Menschen- und Freiheitsrechte hineinpassen, also juristisch gesehen etwas fehl am Platze wirken. Auch jenseits solcher verfassungsjuristischer Feinheiten zeigte sich, dass Reformen überfällig sind, denn konfessioneller Unterricht ist ein „Auslaufmodell“. Die kontrafaktische Konservierung von Seiten der Politik ist nicht mehr zeitgemäß.

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Input aus Hamburg: Besonderheit des Hamburger Modells des „Religionsunterrichts für alle“

Bei der Korso-Themenwerkstatt zum „Religionsunterricht in öffentlichen Schulen“ am 23. Juli, berichtete unser Bundessprecher Gerhard Lein über das „Hamburger Modell“.

In den 50er Jahren hatte Hamburgs Bevölkerung fast 80% Protestanten , fast 7 % Katholiken. Letztere bauten auf ein eigenes Privatschulwesen, es gab also nie katholischen Religionsunterricht in staatlichen Schulen, mit der Ausnahme eines kurzes gescheiterten Versuchs in der Zeit der CDU-Regierung in den Nullerjahren. Religionsunterricht (RU) in HH war immer rein evangelisch und wurde ab den 70er Jahren nur noch von examinierten Lehrer*innen erteilt, nicht mehr von Kirchenpersonal. Ab der Klasse 7 wurde er im Zuge der Studentenrevolte von religionsmündigen, selbstbewussten Schüler*innen abgewählt. Der Staat reagierte aber schnell mit einer Pflichtalternative Werte und Normen, aus der später Philosophie wurde, so der Stand bis heute.

Die hansestädtisch liberale evangelische Großstadtkirche (erste evangelische Bischöfin Maria Jepsen 1992 !) – auch gemeinsam mit den evangelischen Freikirchen in der Stadt – vertrat einen bewusst offenen RU, in dem den Schulen sehr viel Freiraum gelassen wurde. Übrigens immer gegen den starken Protest des Kieler Kirchenamts der Nordelbischen Kirche. Dokumente kirchlicher Beauftragung des Lehrpersonals war in den Personalakten der Lehrer*innen in der Regel nicht zu finden.

1995 entstand ein behördennaher „Interreligiöser Gesprächskreis Religionsunterricht“ (einschl. Muslime, Aleviten, Buddhisten), was zu überarbeiteten Rahmenplänen für den Religionsunterricht führte – immer mehr setzte sich das Label „für alle“ durch.

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DITIB in der NRW-Kommission für den islamischen Bekenntnisunterricht – ein fataler Fehler!

Liebe Genossinnen und Genossen,

wir halten die Entscheidung des NRW-Schulministeriums der Wiederaufnahme der DITIB in die Komission für den islamischen Bekenntnisunterricht für einen fatalen politischen Fehler.

Deshalb fordern wir die SPD-Fraktion im Düsseldorfer Landtag auf, dies deutlich zu kritisieren und darauf hinzuwirken, dass dieser Fehler umgehend behoben wird.

In der Denkschrift von Dr. Klaus Gebauer, einem ausgewiesenen Experten für den NRW-Religionsunterricht, wird dargelegt, welcher religionspolitische Geist die DITIB als Ableger der DIYANET auch in Deutschland mehr denn je prägt: Entstanden als staatliche Reformbehörde, um den Einfluss des politischen Islam zu begrenzen, wurde diese seit den 1990ern und verstärkt unter Erdogan in das Gegenteil transformiert: Ein staatliches Instrument zur (Re)-Islamisierung von Staat und Gesellschaft.

Leider hört die aktuelle Landesregierung – wie zuvor schon die Schulministerin Löhrmann und auch manche Politiker*innen unserer Partei – allzu sehr auf Gutachten aus der Münsteraner katholischen Schule des Religions-Verfassungsrechtes. Diese neigt dazu, die Anpassungsfähigkeit des geltenden Religionsverfassungsrechts zu betonen und Risiken kleinzureden, um das religionsfreundliche System zu erhalten, welches die großen christlichen Kirchen – auch im internationalen Vergleich – stark privilegiert.

In der Denkschrift werden – über den sofortigen Stopp der Zusammenarbeit mit der DITIB hinaus – zwei Lösungswege vorgeschlagen, die wir für tragfähig halten: eine Reaktivierung des Entwicklungspfades „Islamkunde sowie der ernsthafte Einstieg in die Debatte über ein integriertes Fach „Ethik/Religionskunde“ für alle. Ein rechtlich vergleichsweise einfacher Weg dorthin wäre die Umwandlung von Schulen in „bekenntnisfreie“ Schulen, ein Modell, welches das Grundgesetz ja ausdrücklich vorsieht (Artikel 7,3).

Beste solidarische Grüße

Sprecherkreis der Säkularen Sozis NRW:

Johannes Schwill Dr. Sabrina Seidler Toni Nezi

SPD auf dem Frankfurter Kirchentag: Kritik aus dem Norden

Aus dem Hamburger Rundbrief vom 12. Mai 2021

Unsere Partei, genauer der AK Christinnen und Christen, ist auf dem Ökumenischen Kirchen­tag in Frankfurt am kommenden Wochenende vertreten. Das ist politisch sicherlich klug, wenn sich auch die SPD öffentlich mit Themen befasst, die viele Bürger des Landes in ihren ggfls. christlichen Umfeldern berühren. Auch wenn wir säkulare Sozis es für befremdlich hal­ten, wenn unser Arbeitsminister Heil beispielsweise mit einer Bibelarbeit auftritt (dies ausdrücklich als Arbeitsminister tut und nicht einfach der das Kirchenmitglied Hubertus Heil), so sollten wir dies als sein Recht sehen. Auf der HP des KSH ist eine Liste mit entsprechenden Terminen zu finden.

Die FES führt bei / nach einzelnen Veranstaltungen mit Politikerbeteiligung Nachdis­kussionen durch.

Das darf uns aber nicht davon abhalten, grundsätzliche Kritik an diesem (und ande­ren) Kirchentagen zu äußern. Die gewalti­gen Zuschüsse aus allgemeinen Steuermit­teln für diese Kirchenveranstaltungen sind aus unserer Sicht nicht zu rechtfertigen. Bei der im Grundgesetz festgehaltenen Trennung von Kirche und Staat machen die Politiker (und eben keineswegs nur die mit dem „C“ im Logo) Ausnahmen, die in kei­ner Weise zu rechtfertigen sind. In Ham­burg haben wir Erfahrung mit Kirchenfi­nanzierung – gerade angesichts der Weige­rung unserer Partei entgegen einem Lan­desparteitagsbeschluss dann wenigstens auch z.B. den Deutschen Humanistentag (2019 in Hamburg) finanziell zu unterstüt­zen. Juristen nennen die Trennung von Kir­che und Staat nach dem Grundgesetz eine „hinkende Trennung“.

Das darf dann aber nicht zu einer einzelne religiöse Organisationen eklatant be­nachteiligende Humpelei führen. Das müssen wir Säkulare immer wieder in unserer Partei artikulieren.

Der humanistische Pressedienst hat vor dem Römer in Frankfurt seine schon bekannten Figu­ren aufgefahren, wenn auch die Reichweite mangels Besucher-Präsenz diesmal geringen sein wird.

Für die Hamburger Säkularen Sozis, Ulla Wolfram und Gerhard Lein

Staatliche Neutralität im Dienst: (K)Ein alter Hut?

Ein Kommentar von Dr. Lale Akgün (NRW)

Der Bundesrat hat am 7. Mai ein Gesetz passieren lassen, das das Erscheinungsbild von Beamten und Beamtinnen regelt. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, möchte man sagen, Beamte und Beamtinnen repräsentieren den Staat und der ist bekanntlich zur weltanschaulichen und religiösen Neutralität verpflichtet.

Es ist zwar ein alter, ein ganz alter Hut, aber ich möchte hier trotzdem ein paar rechtliche Grundlagen wiederholen. Beamte und Beamtinnen nehmen hochheitliche Aufgaben, die nur der Staat wahrnehmen kann. Dabei geht es um Bereiche wie Justiz, Polizei und Schule. Wir alle müssen bei bestimmten Anliegen diese Instanzen in Anspruch nehmen. Es gibt dazu keine Alternative, weil es keine andere Staatsgewalt geben kann. Das entspricht unserem Demokratieverständnis.

Religionsfreiheit ist nicht grenzenlos. Sie wird immer dann eingeschränkt, wenn andere Grundrechte von Bürgern betroffen sind. Es gibt in unserem Land selbstverständlich das Recht auf Religionsfreiheit, aber eben auch das Recht auf negative Religionsfreiheit. Beamte haben das Recht auf Glaubensfreiheit und Bürgerinnen und Bürger haben das Recht, von religiösen oder weltanschaulichen Überzeugungen verschont zu bleiben.

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„Es gibt keinen vernünftigen und fairen Grund für ein besonderes kirchliches Arbeitsrecht“

Impulsbeitrag von Martin Nestele

Mein Name ist Martin Nestele. Ich arbeite in der Altenpflege. Bin Mitarbeitervertreter in einer diakonischen Einrichtung und stellvertretender Landesfachbereichsvorsitzender, FB3 von ver.di-Baden-Württemberg. Zudem kenne ich auch als Mitglied der Arbeitsrechtlichen Kommission der Diakonie Württemberg den 3. Weg und das kirchliche Arbeitsrecht ganz praktisch.

Mit dem „Weg“ ist der Weg der Arbeitsrechtssetzung der Tarife gemeint. Wenn es den 3. Weg gibt, dann gibt es mindestens noch 2 andere Wege:

  1. Weg: Festlegung zwischen einzelnem Arbeitgeber und Arbeitnehmer/in, sprich AG diktiert
  2. Weg: Gewerkschaft und Arbeitgeberverband handeln TV aus
  3. Weg: Aufgrund eines kirchlichen Gesetzes wird in sogenannten Arbeitsrechtlichen Kommissionen verhandelt: Paritätisch besetzt aus Dienstgebern und MAV-VertreterInnen. Ohne Streik und Aussperrung. Zusammensetzung und Spielregeln über ein kirchliches Gesetz.
    Ergebnis sind hier nicht Tarifverträge, sondern sogenannte Arbeitsvertragsrichtlinien, die auch nicht die rechtliche Qualität von Tarifverträgen haben.

Der 3. Weg kennt keine Tarifverträge und kein Betriebsverfassungsgesetz.
Das Betriebsverfassungsgesetz gilt für Religionsgemeinschaften und ihre caritativen Einrichtungen nicht. Das Betriebsverfassungsgesetz schließt in § 118, Abs. 2 Religionsgemeinschaften von der Anwendung aus.

Grundlage dafür ist im Grundgesetz das Recht von Religionsgemeinschaften auf die Selbstverwaltung ihrer Angelegenheiten. Das steht im Artikel 140 GG. Dort steht, dass die entsprechende Regelung aus der Weimarer Reichsverfassung für das GG übernommen wurde. Juristinnen und Juristen streiten sich darüber was das konkret bedeutet. Die Kirchen haben es jedenfalls im Laufe der Zeit in der Bundesrepublik geschafft, dafür zu sorgen, dass dieses Recht auch auf das Arbeitsrecht für die Beschäftigten in Kirchen und ihren Wohlfahrtsverbänden Diakonie und Caritas ausgeweitet wurde. Eben auf die Betriebsverfassung, die Unternehmensmitbestimmung und das Tarifrecht. Als ideologische Begründung dient dazu eine sogenannte „Dienstgemeinschaft“. Man will damit letztlich darlegen, dass es bei Kirchen, Diakonie und Caritas keine Interessenunterschiede zwischen Kapital und Arbeit gäbe.

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Das Kreuz mit dem Landesverfassungsgericht in NRW: Petition gegen Andreas Heusch

Keine Wahl von Prof. Dr. Andreas Heusch zum Präsidenten des Verfassungsgerichtshofs NRW!


Liebe Genoss*innen in der SPD-Landtagsfraktion NRW. Die Präsidentin des Landesverfassungsgerichtshofs und des Oberverwaltungsgerichts, Frau Ricarda Brandts, tritt am 31. Mai in den Ruhestand. Bereits am 28. April – die endgültige Tagesordnung der Sitzung steht noch nicht fest – soll der Landtag auf Antrag der Landesregierung einen Nachfolger als Präsidenten des Landesverfassungsgerichts wählen: dessen Vizepräsidenten und Präsidenten des Verwaltungsgerichts Düsseldorf, Prof. Dr. Andreas Heusch. Damit wäre praktisch auch eine Vorentscheidung für das OVG Münster gefallen.

Herr Prof. Heusch stellt sein religiöses Bekenntnis über die Verfassung. Seit mehr als 10 Jahren ist er für einen gezielten, in der Justiz beispiellosen Affront gegen fundamentale Prinzipien des Grundgesetzes und gegen das Bundesverfassungsgericht verantwortlich. Am Tag der Deutschen
Einheit 2010 ließ er im Haupttreppenhaus des VG Düsseldorf ein Kreuz anbringen. Das war zu Beginn seiner Amtszeit die persönliche Antwort des bekennenden Katholiken gegen den Kruzifixbeschluss des Bundesverfassungsgerichts von 1995, das es als verfassungswidrig ansieht, wenn staatliche Einrichtungen von Amts wegen mit Kreuzen ausgestattet werden. Die Kreuzerhöhung im Verwaltungsgericht war damals auch eine Antwort an den Präsidenten des Landgerichts Düsseldorf, der in seinem Geschäftsbereich kurz zuvor die Kreuze hatte abhängen lassen. So war und ist es seit den siebziger Jahren verfassungstreue Praxis an allen anderen
Verwaltungsgerichten in NRW.

Wir meinen, dass diese Geisteshaltung gegenüber unserer Verfassung für einen Präsidenten des Landesverfassungsgerichts inakzeptabel ist und fordern Euch deshalb auf, die Wahl von Herrn Prof. Dr. Heusch nicht zu unterstützen. Der anhängenden Petition von Dr. Ralf Feldmann aus Bochum schließen wir uns vollinhaltlich an.

Petition: Weltanschauliche Neutralität des Staates schützen
Wer die Verfassung bricht, darf nicht Präsident des
Verfassungsgerichtshofs werden.

Beste solidarische Grüße
Johannes Schwill
Toni Nezi
Dr. Sabrina Seidler
Netzwerk Säkularer Sozis NRW

Kennen Sie „Let´s dance“?

Ein Kommentar von Dr. Lale Akgün (NRW) zu den allgemeinen Tanzverboten

_c_Volker Glasow

Kennen Sie „Let´s dance“? Das ist ein Unterhaltungsformat auf RTL, bei dem Paare, jeweils ein –wie-auch- immer-gearteter – Promi und ein Profi gegeneinander tanzen. Jede Woche scheidet ein Paar aus. Wer übrigbleibt, hat gewonnen. Letzen Freitag habe ich mir die Sendung angeschaut. Wirklich unterhaltsam, so dass ich beschloss, am folgenden Freitag wieder einzuschalten. Kaum war mein Entschluss gefasst, sagte der Moderator, dass am nächsten Freitag wie allseits bekannt Karfreitag sei, weswegen die nächste Sendung erst übernächsten Freitag gesendet würde. Karfreitag herrsche in Deutschland Tanzverbot. Ok, dachte ich, da machste nix – das ist Deutschland.

Die Kirchen regieren bis in die Unterhaltungssendungen von RTL hinein. Jedoch fuhr der Moderator mit einer Information fort, die mich irritierte. Er lud mich nämlich ein, mir am Karfreitag ein „Best of“ aller Let´s dance Sendungen anzuschauen. Anscheinend ist Tanzen am Karfreitag verboten, aber es ist nicht verboten, Tanzenden zuzuschauen, wenn die Tanzaufführung in der Vergangenheit liegt und die Sendung eine Aufzeichnung ist.

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10 Jahre ‚Tanzverbot abschaffen‘ und kein Ende?

„Karfreitags“-Interview mit Maurice Mäschig, Initiator des Projekts „Tanzverbot abschaffen„, Laizist, ehemaliges SPD-Mitglied und Sozialdemokrat im Herzen.

Maurice, die von Dir mittels facebook-Seite und Petition in Bremen 2011 hervorgerufene Aktion „Tanzverbote abschaffen“ feiert ihr 10-jähriges Jubiläum. Was hat Dich damals motiviert eine solche Kampagne ins Leben zu rufen und würdest Du das wieder tun?

(c)Kalu Kunst – Maurice Mäschig

Damals sind mehrere Dinge zusammengekommen. Zum einen hatte ich, mitten in meinen Zwanzigern, die praktischen Auswirkungen des Tanzverbotes bereits mehrere Jahre in Folge unmittelbar zu spüren bekommen. Exemplarisch ist hierbei die vielzitierte Nacht vom Gründonnerstag auf Karfreitag, wo in den Discotheken Tische und Stühle auf die Tanzflächen gestellt und die Musik heruntergefahren wird –wenn diese, je nach Bundesland, überhaupt öffnen dürfen.

Zum anderen war ich bereits seit einigen Jahren politisch aktiv, wusste um die inner- und außerparteilichen Möglichkeiten um Veränderungsprozesse zu starten und hatte durch mein Studium und Praktika auch Erfahrungen darin, wie man Öffentlichkeit für ein Thema erzeugen kann. Hinzu kam der enge Kontakt zu Horst Isola, der zur damaligen Zeit den Gesprächskreis der Laizisten in Bremen organisierte. Dort fiel das Thema der übergriffigen Kirchen und ihrer politischen Handlanger natürlich auf fruchtbaren Boden. Es war die richtige Zeit für den Start dieses Projekts.

Die Tanzverbote oder „stillen Tage“ wurden in einigen Ländern, darunter Bremen, reformiert oder zumindest mit mehr oder weniger erfolgreichen Petitionen zu ihrer Abschaffung bedacht, würdest Du sagen, dass sich etwas getan hat und wenn ja, inwiefern?

Es gab und gibt immer wieder Petitionen gegen die Tanz- und Vergnügungsverbote. Am Ende kratzen deren Ergebnisse bisher aber immer nur an der Oberfläche des Problems. Mal werden Verbotszeiten um Stunden oder gar Tage gekürzt, mal werden die verbotenen Handlungen in homöopathischem Ausmaß angepasst. An das eigentliche Problem des mit den Wertevorstellungen der Kirchen in Deutschland begründeten und staatlich verordneten Eingriffs in das Leben aller Menschen ändert dies aber weiterhin nichts. Da ist es gut, dass es inzwischen –vor der Corona-Pandemie- vielfältige Aktionen, Filmvorführungen und Protestformen insbesondere um Ostern herum gab, die Öffentlichkeit für das Thema schaffen und über die Hintergründe aufklären.

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Weltanschaulich neutrale Justiz in NRW – Gesetz gelungen?

Der Düsseldorfer Landtag hat am 3. März ein Gesetz zur weltanschaulichen Neutralität in der Justiz beschlossen, welches es den Beschäftigten in der Justiz untersagt, religiöse wie weltanschauliche Symbolik bei dienstlichen Tätigkeiten zur Schau zu stellen. Das betrifft sowohl die Kleidung, wie auch Körperschmuck oder symbolische Gegenstände, die entsprechend sichtbar getragen werden. Das sogenannte „Justizneutralitätsgesetz“ wurde mit den Stimmen der CDU, FDP und der AfD gegen die Stimmen der GRÜNEN beschlossen. Die SPD-Fraktion im Düsseldorfer Landtag enthielt sich.

Die Säkularen Sozis aus NRW begrüßen das politische Engagement hinsichtlich weltanschaulicher Neutralität des Staates, gerade in sensiblen Bereichen wie dem öffentlichen Dienst, der Justiz oder im Bildungsbereich, sehen aber noch Nachbesserungsbedarf und offene Fragen.

Johannes Schwill, Landessprecher der Säkularen Sozis und HVD-Vorsitzender NRW:

„Die weltanschauliche Neutralität des Staates ist ein hohes Gut und muss sich in seinem Handeln, aber auch in seinem Umgang mit Symbolik zeigen. Wenn Personen im Namen des Volkes, also im Namen des Souveräns, handeln und öffentlich auftreten, dann ist zuzumuten, dass sie ihr persönliches Recht auf äußerliche Bekundung ihrer Religion oder Weltanschauung durch entsprechend konnotierte Bekleidung zurückstellen. Dies müsste auch für Lehrer*innen an öffentlichen Schulen gelten, denn auch sie repräsentieren den Staat.“

Dr. Sabrina Seidler, Sprecherkreis der Säkularen Sozis (NRW):

„Die Entscheidung des Düsseldorfer Landtages ist ein richtiges und wichtiges Votum, das allerdings Fragen aufwirft. Der Gesetzentwurf ist beides: Nicht weitreichend genug auf der einen Seite, aber gleichzeitig auch ein starkes Anzeichen dafür, dass an der ohnehin vom Grundgesetz vorgegebenen weltanschaulichen Neutralität des Staates offenbar ordentlich ‚gerüttelt‘ wird. Der Blick vom Rhein auf die Spree und auf die Auseinandersetzunge um das ‚Berliner Neutralitätsgesetz‘ macht es deutlich.“

Thorben Kösters, Sprecherkreis der Säkularen Sozis (NRW):

„Das Gesetz ist für NRW eine begrüßenswerte Neuerung, die freilich insofern inkonsequent bleibt, als sie nicht auch religiöse Symbole in staatlichen Räumlichkeiten, wie etwa ein Kreuz an den Wänden eines Gerichtssaals, verbietet. Sich nur persönlichen Kleidungsstücken wie etwa dem Kopftuch einer Referendarin zu widmen, kann nicht überzeugen.“