Hamburger Themen im säkularen Spätsommer

Vorab: Wer hätte das vor Monaten gedacht. Die SPD in den Umfragen gleichauf oder vor der CDU, die Grünen schwächeln, Olaf ist mit Abstand der ungekrönte Spitzenmann bei der Kanzlerfrage. Wenn’s nur um die ginge, dann wäre alles klar. So aber heißt es kämpfen, was ja viele an Infoständen, bei Hausverteilung und den Tür-zu-Tür-Kampagnen derzeit mit Leidenschaft machen. Das überlagert alle unsere derzeitigen Themen, die aber dennoch nicht in Vergessenheit geraden dürfen.

Gedenkort für die Corona-Opfer

Ein interfraktioneller Antrag (ohne AfD und von Treuenfels/FDP) hat am 18.8. den Senat aufgefordert, einen zentralen Gedenkort für die CORONA-Verstorbenen zu planen. Im letzten Satz der Begründung des Petitums wird dazu aufgerufen, auch die Religionsgemeinschaften in die Planungen einzubeziehen. Gerhard hat die beiden Fraktionsvorsitzenden der Koalition und einige als säkular bekannte Abgeordnete angeschrieben und auf diese Ignoranz gegenüber der konfessionsfreien Mehrheit hingewiesen.

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Korso-Forderung zur Reform des staatlichen Religionsunterrichts: Gemeinsam statt getrennt!

Der Koordinierungsrat säkularer Organisationen (Korso) hatte am 23. Juli zu einer weiteren öffentlichen Online-Themenwerkstatt „Religionsunterricht an öffentlichen Schulen“ eingeladen, worüber auch der hpd berichtet hat. (Korso-Cloud-Materialien zur Themenwerkstatt)

Neben dem Ethikprofessor und kritischen evangelischen Theologen Hartmut Kreß, war unser Hamburger Bundessprecher Gerhard Lein aufgerufen einen Impuls zum Hamburger „Religionsunterricht für alle“ beizutragen. Das Ergebnis des Treffens, an dem sich zahlreiche Säkulare Sozis beteiligten, ist ein Konsens über die säkulare Forderung nach einer Reform des Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen: „Gemeinsam statt getrennt!

Hartmus Kreß nahm zur Verfassungslage Stellung, denn kein einziger Staat hat den Religionsuntericht wie Deutschland in seiner Verfassung – Artikel 7, Absatz 3 – als ordentliches Lehrfach verankert. Die historische Debatte innerhalb des Parlamentarischen Rates, die sich besonders am Religionsunterriht enzündete, hatte 1949 zur Folge, dass immerhin die Garantie der Theologischen Fakultäten wegfiel und die Gestaltung des Religionsunterrichts nunmehr nach den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften und nicht mehr nach den Grundsätzen der Kirchen erfolgen sollte. Was erhalten blieb, war die verfassungsmäßige Garantie des konfessionellen Religionsunterrichts.

Diese Garantie würde nach Kreß jedoch sachlogisch nicht in die individuellen Menschen- und Freiheitsrechte hineinpassen, also juristisch gesehen etwas fehl am Platze wirken. Auch jenseits solcher verfassungsjuristischer Feinheiten zeigte sich, dass Reformen überfällig sind, denn konfessioneller Unterricht ist ein „Auslaufmodell“. Die kontrafaktische Konservierung von Seiten der Politik ist nicht mehr zeitgemäß.

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Input aus Hamburg: Besonderheit des Hamburger Modells des „Religionsunterrichts für alle“

Bei der Korso-Themenwerkstatt zum „Religionsunterricht in öffentlichen Schulen“ am 23. Juli, berichtete unser Bundessprecher Gerhard Lein über das „Hamburger Modell“.

In den 50er Jahren hatte Hamburgs Bevölkerung fast 80% Protestanten , fast 7 % Katholiken. Letztere bauten auf ein eigenes Privatschulwesen, es gab also nie katholischen Religionsunterricht in staatlichen Schulen, mit der Ausnahme eines kurzes gescheiterten Versuchs in der Zeit der CDU-Regierung in den Nullerjahren. Religionsunterricht (RU) in HH war immer rein evangelisch und wurde ab den 70er Jahren nur noch von examinierten Lehrer*innen erteilt, nicht mehr von Kirchenpersonal. Ab der Klasse 7 wurde er im Zuge der Studentenrevolte von religionsmündigen, selbstbewussten Schüler*innen abgewählt. Der Staat reagierte aber schnell mit einer Pflichtalternative Werte und Normen, aus der später Philosophie wurde, so der Stand bis heute.

Die hansestädtisch liberale evangelische Großstadtkirche (erste evangelische Bischöfin Maria Jepsen 1992 !) – auch gemeinsam mit den evangelischen Freikirchen in der Stadt – vertrat einen bewusst offenen RU, in dem den Schulen sehr viel Freiraum gelassen wurde. Übrigens immer gegen den starken Protest des Kieler Kirchenamts der Nordelbischen Kirche. Dokumente kirchlicher Beauftragung des Lehrpersonals war in den Personalakten der Lehrer*innen in der Regel nicht zu finden.

1995 entstand ein behördennaher „Interreligiöser Gesprächskreis Religionsunterricht“ (einschl. Muslime, Aleviten, Buddhisten), was zu überarbeiteten Rahmenplänen für den Religionsunterricht führte – immer mehr setzte sich das Label „für alle“ durch.

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Arbeitsgemeinschaft für Bildung in Hamburg: Religionsunterricht für alle?

Am 4. Mai 2021 fand eine Online-Sitzung des AfB-Vorstandes Hamburg statt. Eingeladen war unter anderem der Ethikprofessor und evangelische Theologe Prof. Dr. Hartmut Kreß.

Der Religionsunterricht für alle ist im Koalitionsvertrag 2020 zwischen SPD und Bündnis 90 die Grünen festgeschrieben (Seite 156 – 158):

„Er wird so gestaltet, dass Kinder und Jugendliche aller Glaubensrichtungen und auch solche, die dezidiert keiner Religion angehören, identitätsstiftende Bildungsangebote bekommen.“

Die Umsetzung dieser Erweiterung des RUfa soll mit dem neuen Lehrplan in den Klassen 1-6 erfolgen. Aber das Wie ist jetzt noch unklar, weil es die Religionsgemeinschaften bestimmen. Um uns in der AfB Klarheit zu verschaffen, luden wir zu dieser ZOOM-Sitzung als Referenten
Prof. Dr. Hartmut Kreß ein, der an der Universität Bonn Sozialethik lehrt.
Unter der Überschrift „Religionsunterricht, Religionskunde und Bekenntnisfreie Schule – Klärungsbedarf zum Hamburger Modell“ veröffentlichte er im Dezember 2020 in der Neuen Juristischen Onlinezeitschrift (NJOZ) einen Beitrag, auf den wir durch das Netzwerk der Säkularen Sozis aufmerksam wurden.

Prof. Dr. Kreß zeigte uns kurz die historische Entwicklung als Dauerbaustelle seit 1919 auf, schilderte einige Beispiele aus anderen Bundesländern und die dortigen Probleme und stellte dann den aktuellen Stand bei uns in Hamburg und die sich daraus ergebenen Probleme dar.(s. NJOZ-50-2020 S. 1537-1568 und auch den Anhang hier) In der folgenden Diskussion kristallisierte sich heraus: Das Modell hat den Vorteil, dass Schülerinnen und Schüler in den Klassen 1-6 nicht separiert werden und der Unterricht zur Toleranz verpflichtet. Er ist aber nicht verfassungskonform.

Laut GG Paragraph 7/II haben Erziehungsberechtigte das Recht, über die Teilnahme am Unterricht zu bestimmen. Diese mögliche Abmeldung wird von der Schulbehörde den Eltern nicht mitgeteilt, ein alternatives Angebot wie Ethik oder Philosophieren mit Kindern wird ja auch nicht angeboten. Werden dadurch Grundrechte untergraben für die etwa 50 % der Kinder in den Klassen 1-6 , die keiner Glaubensrichtung angehören? Die eben auch einen Bildungsanspruch haben, den der Identitätsstiftung?

Eine der Lösungsmöglichkeiten neben der Einführung eines Wahlpflichtfaches Ethik/Philosophie sind: Bekenntnisfreie Schulen. Dabei wurde deutlich, dass das Hamburgische Parlament, gestützt auf GG Paragraph 7/III, das Hamburger öffentliche Schulsystem als bekenntnisfrei erklären kann.

„Für die schulische Behandlung religiöser Themen würde hierdurch eine tragfähige Lösung geschaffen, weil ein Pflichtfach Ethik/Religionskunde eingeführt werden könnte. Abgesehen davon, dass der derzeitige Religionsunterricht für alle aufgrund seiner rechtlichen Fragilität durch ein Normenkontrollverfahren geprüft werden sollte, zeigt sich hier ein
Weg, die angestauten rechts- und bildungspolitischen Fragen zu korrigieren.“
Prof. Dr. Kreß

Weiter wurde diskutiert, dass die Einschränkung der Ausübung der Unterrichtstätigkeit für nicht konfessionell gebundene Lehrkräfte unklar ist: Diese müssen in absehbarer Zeit in HH Mitglied einer Religionsgemeinschaft sein. Und – wie sollen diese denn auch säkulare, identitätsstiftende Bildungsangebote vermitteln.

Von Ulla Wolfram, Bundessprecherin (Hamburg)