Ethik/Religionskunde – besser gemeinsam! „Die Frage ist nicht ob, sondern wann das integrative Schulfach kommt.“ — Alexander Unser

Am 6. Mai fand unsere Tagung in Kooperation mit der gbs-Hochschulgruppe Münster an der dortigen Universität statt. Ein ausführlicher Beitrag von Jonas Pödl und Lisa V. Skutella zu diesem Thementag findet sich auch beim Humanistischen Pressedienst (hpd).

Ziel der Veranstaltung war es, jenseits der existierenden Alternativ- oder Ersatzfächer für konfessionellen Religionsunterricht in den Bundesländern, einmal ein integratives Dialogfach auszudiskutieren, das konfessionelle und weltanschauliche Separierung überwindet. Ein Fach, besser gemeinsam?

Am Vormittag führten die Professorin für Religionswissenschaft Wanda Alberts von der Universität Hannover und der Sozialethiker Professor Hartmut Kreß von der Universität Bonn, moderiert von Björn Luig (gbs) und Adrian Gillmann (Säkulare Sozis), in die unterschiedlichen fachlichen Aspekte einer Religionskunde respektive Ethik ein. Beide sind für die aktuellen Standardwerke „Handbuch Religionskunde“ (2023) und „Ethikunterricht oder Religionsunterricht“ als Herausgebende beziehungsweise Verfasser verantwortlich, die als Ebooks zudem gratis erhältlich sind.

Wanda Alberts brachte die Stärken eines religionskundlichen Unterrichts zur Sprache, der gegenüber einem interreligiösen Religionsunterricht von einer inhaltlichen Vermittlung unter einer gemeinsamen säkularen Bildungsperspektive ausgeht. Statt authentischer Religionsvertretung oder religiöser Erfahrung, würden sowohl ein anderer Gegenstandsbereich als auch ein anderer pädagogischer Anspruch bestehen.

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Religionskunde würde zudem mit einem Weltreligionen-Paradigma brechen, welches die Welt als religiös klar abgrenzbare Landkarte großer, gegebener Religionen unterteilt. Für Alberts ist es „implizit theologisch“ und eine Prototypisierung des Christentum hinsichtlich der Gestalt und Gültigkeit von großen Religionen, und wurde im 19. Jahrhundert erfunden. Die Thematisierung von Religion könnte kundlich auch verschiedene Wissenskategorien jenseits von Glauben, Heiligem und anderen Übertragungen etablieren, die beispielsweise japanischem Buddhismus nicht gerecht werden. Religionswissenschaft würde hier schon weiterdenken und andere, gemeinsame Inhalte anbieten.

Stärken, Schwächen und „Geburtsfehler“ eines konfessionellen Religionsunterrichts sowie die Vorteile eines integrativen Ethikunterrichts waren das Thema eines ersten Vortrages von Hartmut Kreß. Religion sei nur eines der kulturellen Güter, mit denen sich eine philosophische Ethik beschäftigt, die eben Institutionen, Ordnungen und Idealen einer Gesellschaft ein breites Feld ethischer Themen bedeutet. Seit 200 Jahren ist Religion für die Ethik ein Kulturgut unter anderen. Ein integratives Fach würde dieses Verständnis mitaufnehmen und unter Grundwerten wie der Toleranz ein gegenseitiges, dialogisches Verhältnis bezüglich einer konstruktiven Auseinandersetzung, eines gemeinsames Lernen voraussetzen. Es geht um ein gemeinsames Orientierungswissen, ohne dogmatische Trennung.

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In einem zweiten Beitrag ging Prof. Kreß auf die Rechtslage und die politische Umsetzung eines Schulfaches Ethik/Religionskunde ein. Konfessioneller Religionsunterricht erhielt im deutschen Grundgesetz auf Betreiben der Kirchen hin eine Sonderstellung, was in Europa sogar weitesgehend einzigartig ist. Politisch erscheint eine Verfassungsänderung in weite Ferne gerückt, aber man könnte eine legale und legitime Einführung von bekenntnisfreien Schulen auf Landesebene unternehmen. An solchen weltlichen Schulen, die eine SPD-Idee waren, müsste kein Bekenntnisunterricht eingeführt werden. Rechtlich wäre dies zwar eine „Ausnahme“, könnte aber mit gestalterischer Politik auf einen sozialen Wandel und religiös-weltanschaulichen Pluralismus entsprechend initiativ genutzt werden. Das könnte generell im Schulgesetz allgemein erklärt werden, einzelnen Schulen die Erklärung zur bekenntnisfreien Schule eingeräumt oder den Kommunen ausdrücklich erlaubt werden. Mit bekenntnisfreien Schulen ist, trotz aller Paraphrasierungen in Landesverfassungen, keine weltanschauliche Schule, sondern öffentliche, vom Staat getragene Gemeinschaftsschulen gemeint. Weder humanistisch noch laizistisch, sondern dezidiert neutral.

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Den Abschluss des Vormittagsprogramms bildete der Beitrag des Bildungspolitikers und ehemaligen GEW-Vorstands aus Niedersachsen, Dr. Dieter Galas. Dieser hatte 2022 eine Petition zu bekenntnisfreien Schulen gestartet. Das Schulgesetz sollte durch den Landtag verändert werden, um die Einrichtung bekenntnisfreier Schulen zu normalisieren, auf der Basis einer Beteiligung der Schulträger, und damit eine verpflichtende Teilnahme an dem Ersatzfach Werte und Normen entstehen. Die Petition scheiterte, aber die Diskussion gehe weiter und es zeigt sich, dass es für ein gemeinsames Dialogfach, wie bei der Ablösung der altrechtlichen Staatsleistung an die Kirchen, Mut braucht, Stehvermögen, einen sehr langen Atem und Verbündete.

Bei der anschließenden Podiumsdiskussion am Nachmittag, die von Lisa V. Skutella (gbs) und Johannes Schwill (Säkulare Sozis) moderiert wurde, ging es vor allem um die inhaltlichen Positionierungen sowie Wunschvorstellungen, wie ein solches integratives Dialogfach zu gestalten ist.

Neben Professoren Wanda Alberts und Hartmut Kreß waren nun auch die Ethiklehrerin und promovierte Philosophin Inga Tappe und der Juniorprofessor für katholische Theologie, Alexander Unser, gefragt.

Auf die Frage nach einem Dialogfach ging es der Religionswissenschaftlerin Wanda Alberts vor allem darum Religion als Teil eines säkularen Bildungskanons zu behalten, dies allerdings integrativ, damit man auf religiöse Inhalte wie auch auf andere Inhalte schauen könnte. Religionskunde sollte jedoch nicht hinsichtlich eines Weltreligionen-Paradigmas gehalten werden. Das religiöse Reden sollte durch über Religionen reden ersetzt werden und Religionen sollten in allen Formen thematisiert werden. Sie widersprach deutlich einem „positiven Vorurteil des learning von Religion“, denn es geht um Fragen eines vorurteilsfreien Lernens von verschiedenen Religionen als Teil einer kulturellen Bildung.

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Hartmut Kreß betonte die Wichtigkeit ethisch-philosophischer Inhalte, da Ethik konstruktiv integrieren und Fragen des sozialen und kulturellen Zusammenlebens besonders behandeln könnte. Aus anthropologischer Sicht geht es um existenzielle Wertfragen, die jedem Einzelnen die Befähigung mitgibt, mit ethischen Fragen umgehen zu können.

Für die Ethiklehrerin Inga Tappe sind die Begründungen von Werte und Normen von besonderer Bedeutung gewesen, damit intersubjektive Standpunkte auch ohne weltanschaulich-religiöse Vorannahmen diskutabel werden. In demokratischen Staaten sei dies eine Grundvoraussetzung, um auf einer Metaebene Wahrheiten und Meinungen nachvollziehen und beurteilen zu können. Man „müsse schließlich nicht gleich die ganze Ideologie einkaufen, um in Teilen davon zu profitieren“.

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Das Verstehen, Interpretieren und Beurteilen religiöser Phänomene war für den Theologen Alexander Unser besonders wichtig, um auch eine persönliche, gleichberechtigte Partizipation verschiedener religiös-weltanschaulicher Identitäten zu ermöglichen. Es müssten nicht alle religiös sein, damit es ihnen gutgeht, aber das individuelle Ausleben von religiösen Interessen gehört zu einer Gesellschaft dazu. Was geht in einer Gesellschaft, was nicht? Was sind die verschiedenen Weltzugänge, ohne „dass alle gleich in die göttliche Glückseligkeit“ geführt werden müssten.

Kritisch würde er es sehen, wenn die säkulare Perspektive als Rahmen gesetzt würde und kein wirklicher Dialog stattfinden kann. Die „religiöse Binnenlogik“ oder „Eigensprache eines kulturellen Symbolsystems“ müsse gewahrt bleiben.

Wanda Alberts konterte mit der Grenze zwischen existenziellen und verstehenden Fragestellungen, wenn Religionskunde eine säkulare Perspektive bezüglich einem gemeinsamen, übergeordneten Interesse heißt und nach keiner persönlichen Positierung, oder nach einer Übersetzung individueller Überzeugung, verlangt.

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Zum Abschluss ging es um die Frage wie es weitergeht und eine integrative Lehrerinnenausbildung wurde von Alexander Unser genannt, die eine „gemeinsame Vision“ eines solchen Faches voraussetzt. Für Hartmut Kreß war klar, dass die inhaltlichen Zuständigkeit eines integrativen Faches bei den pädagogischen, fachlichen Wissenschaften und keinen Amtskirchen und den Religionsgemeinschaften mehr liegen dürfe. Eine gemeinsame Basis hinsichtlich der Wissenschaftlichkeit, der Interdisziplinarität und einer professionellen Ausbildung von Lehrkräften, war Inga Tappe besonders wichtig, um ein solches Fach zu realisieren.

Trotz Differenzen in den Details, war allen Beteiligten klar, dass ein gemeinsames Engagement für bildungspolitische Veränderungen und ein entsprechendes Dialogfach in Zukunft nur eine Frage des „Wie“ und nicht mehr des „Ob“ darstellen.