Forderungen der Gründungsversammlung 2010

Unsere Forderungen

(11 Forderungen, beschlossen auf der Gründungsversammlung in Berlin am 16.10.2010)

(weitere Forderungen und Positionen kamen auf den nachfolgenden Bundestreffen 2011, 2012 und 2014 dazu, siehe oben)

1. Gesetze und öffentlicher Raum müssen neutral bleiben

Verfassungen, Gesetze und öffentliche Bauten gehören allen Bürgerinnen und Bürgern. Im Grundgesetz der Bundesrepublik und in den Landesverfassungen sowie sämtlichen weiteren Gesetzen haben – analog zu den Lissabonner Verträgen – alle Gottesbezüge zu unterbleiben. Zur Wahrung der weltanschaulichen Neutralität gehören religiöse Symbole nicht in Gerichte, Parlamente, Rathäuser, öffentliche Krankenhäuser, Kindestagesstätten und Schulen sowie Behörden. Auch sind öffentliche Gebäude und Einrichtungen bei Neuerrichtung nicht „einzusegnen“. Die Eidesformel ist neutral zu fassen.

 2. Neutrales öffentliches Bildungswesen

Der Religionsunterricht nach Art. 7 GG ist Bekenntnisunterricht. Wir fordern stattdessen, dass alle Schülerinnen und Schüler zum Kennenlernen der verschiedenen Kulturen und Religionen sowie zur Einübung der Toleranz unabhängig von ihrer Herkunft und Religionszugehörigkeit einen Unterricht als Pflichtfach über die ethischen Grundlagen des Zusammenlebens, über die Inhalte der großen Religionen und über die weltanschaulichen Grundlagen unserer Kultur, über Menschenwürde und Menschenrechte – wie in Berlin und Brandenburg – erhalten.

Bis zu einer entsprechenden Änderung der Verfassungen und Gesetze muss parallel zum konfessionellen Religions- und weltanschaulichen Unterricht auf allen Schulstufen ein gleichwertiger, neutraler Religionskunde- und Ethikunterricht im Sinne eines Wahlpflichtfaches eingerichtet werden. Religiöse Erziehungsziele für öffentliche Bildungseinrichtungen und Schulen sind in den Landesgesetzen zu streichen.

Schulgebete, Schulgottesdienste und dergleichen in öffentlichen Schulen haben zu unterbleiben. Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe bzw. des öffentlichen Schulwesens müssen überall ein ausreichendes Angebot an neutralen Bildungs- und Betreuungseinrichtungen (von der Kinderkrippe bis zur Jugendarbeit) sicherstellen. Ein regionales Religionsmonopol (z.B. eine einzige Kindertagesstätte am Ort in religiöser Trägerschaft) muss unzulässig sein.

3. Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen

Die Vorschrift des Grundgesetzes, alle auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften abzulösen (Art 140 GG i.V.m. Art. 138 Weimarer Reichsverfassung), ist bisher nicht erfüllt. Der Bundesgesetzgeber muss endlich die hierfür notwendigen Gesetze erlassen.

Die direkte und indirekte Finanzierung insbesondere der Klerikergehälter und der Theologieausbildung sind zu beenden. Auch die vielfältigen „versteckten“ Leistungen – z.B. der Kommunen für kirchliche Baulasten, kirchliches Personal oder Dienst- und Materialleistungen an kirchliche Einrichtungen – sind abzuschaffen.

4. Gleichbehandlung der Kirchen mit anderen Organisationen

Alle Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften sind nach dem allgemeinen Vereinsrecht zu behandeln. Die Austrittserklärung ist bis dahin gebührenfrei und formlos als einseitige Willenserklärung gegenüber dem Standesamt, dem Amtsgericht oder der Religionsgemeinschaft möglich.

Die quasi-hoheitliche Sonderstellung der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, die Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, ist zu beenden.

Das Privileg, dass der Vertreter des Vatikans automatisch der Doyen des diplomatischen Corps ist, ist abzuschaffen. Die katholische Kirche ist in internationalen Gremien als NGO einzustufen, wie es bei allen anderen Religionsgemeinschaften bereits üblich ist. Der Straftatbestand der „Gotteslästerung“ usw. (§ 166 StGB) ist ersatzlos zu streichen.

5. Steuerliche Gleichstellung der Kirchen mit gemeinnützigen Organisationen

Alle über allgemeine Gemeinnützigkeitsbestimmungen hinausgehenden Steuerprivilegien der Kirchen sind abzuschaffen.

Die Einziehung der Kirchensteuer durch den Staat ist durch ein kircheneigenes Beitragssystem zu ersetzen.

6. Finanzielle Gleichstellung der Kirchen mit gemeinnützigen Organisationen

Über die Kirchensteuern hinaus beziehen bestimmte Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften in den Bundesländern zusätzlich hohe Zuschüsse auf Basis von Konkordaten bzw. Staatsverträgen. Diese Staatsverträge sind so umzugestalten, dass sie sich auf ein sinnvolles Minimum, z.B. bei der Unterstützung kultureller Angelegenheiten, beschränken, wobei der Grundsatz der Gleichbehandlung aller Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften einzuhalten ist. Die Finanzierung von Pfarrerstellen in öffentlichen Krankenhäusern, Justizvollzugsanstalten und ähnlichen Einrichtungen ist zu beenden. Soweit sich Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften oder von ihnen getragene oder geprägte Organisationen gemeinnützig betätigen (z.B. als „freie Träger“), müssen bei der staatlichen Finanzierung und für die Beschäftigungsbedingungen die gleichen Maßstäbe wie für alle anderen Träger gelten.

7. Staatliche Forschung und Lehre ohne religiösen Einfluss

Wissenschaft und Forschung müssen ergebnisoffen und frei von religiösen und weltanschaulichen (also auch politischen) Prägungen sein. Die theologischen Fakultäten an staatlichen Hochschulen sind durch religionswissenschaftliche Institute zu ersetzen. Alle kirchlichen Vorbehaltsrechte z.B. bei der Besetzung bestimmter Lehrstühle entfallen. Konkordatslehrstühle sind in ordentliche Lehrstühle umzuwandeln.

8. Gleiches Arbeits- und Mitbestimmungsrecht

Über die für alle Tendenzbetriebe geltenden Besonderheiten hinaus dürfen die Rechte von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nicht beschnitten werden. Die Sonderregelungen für religiöse oder weltanschauliche Einrichtungen nach § 78 Abs. 2 Betriebsverfassungsgesetz und § 9 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz sind zu beenden. Den Beschäftigten der Kirchen und ihrer Organisationen, vor allem Diakonie und Caritas, sind Mitbestimmung, Koalitionsfreiheit und Tariffreiheit zuzubilligen. Die Religionszugehörigkeit oder das religiöse Verhalten dürfen jenseits eines engen, in herausragender Weise religiös oder weltanschaulich geprägten Kernbereiches von Beschäftigungsverhältnissen kein Einstellungs- oder Entlassungsgrund sein. Diese Forderung gehört auch wieder in unser Grundsatzprogramm.

9. Keine öffentliche Militärseelsorge

Die staatliche Organisierung und Finanzierung der Militärseelsorge ist zu beenden. Der bisher von den Militärpfarrern gegebene, aber für alle Wehrdienstleistenden verbindliche „Lebenskundliche Unterricht“ ist in einen neutralen, von einem dafür geeigneten pädagogischen Lehrkraft erteilten Ethikunterricht umzugestalten. Öffentlich finanzierte Soldatenwallfahrten und ähnliche Unternehmungen sind nicht statthaft. Geistliche und Theologiestudenten/innen sind – solange die Wehrpflicht besteht – allen übrigen Wehrpflichtigen gleichzustellen und zum Militär- oder Zivildienst heranzuziehen.

10. Öffentlich-rechtlicher Rundfunk ist kein Kirchenfunk

Die Rundfunkräte der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten sind so umzugestalten, dass dort keine Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft übermäßigen Einfluss erhält. Solange dort Vertreter/innen der Religionsgemeinschaften sitzen, müssen auch Vertretungen der nicht-religiösen Weltanschauungsgemeinschaften berufen werden. Die Gewährung von Sendezeiten für sogenannte Verkündigungssendungen ist zu beenden. Die Finanzierung von durch kirchliche Medienkonzerne erstelltem Sendematerial ist zu beenden. Öffentlich-rechtliche Kirchenredaktionen wirken in der Regel als verlängerter Arm der kirchlichen Medienarbeit. Die Kirchenredaktionen sind daher aufzulösen und durch Redaktionen zu ersetzen, die sich des gesellschaftlich-kulturellen Themenbereichs von Religionen und Weltanschauungen in journalistisch geeigneter Art und Weise, in ausgewogenem Anteil und mit der gebührenden kritischen Distanz annehmen.

11. SPD und Religion

Gottesdienste und Andachten sind kein Bestandteil von SPD-Parteitagen und werden im offiziellen Programm nicht aufgeführt.