Klarstellung zu Fehlinformationen

Im Zuge vieler Anschreiben, Diskussionen im Bekanntenkreis oder im eigenen OV, aber auch in Interviews der Sprecher etc. wird immer wieder deutlich, dass kaum jemand unsere Forderungen wirklich gelesen hat. Stattdessen werden uns die immer gleichen Vorhaltungen gemacht, was wir angeblich fordern würden.

So heißt es z.B. immer wieder, wir würden die Kirchensteuer abschaffen und die Militärseelsorge beenden wollen, wir wollten den Religionsunterricht abschaffen und den Kirchen und ihren Organisationen die Zuschüsse für ihre sozialen Einrichtungen kürzen oder gar streichen.

Hier deshalb für alle Unterstützer als Argumentationshilfe und für alle neugierigen Seitenbesucher, die endlich wissen wollen, was wir wirklich möchten, eine Zusammenstellung der häufigsten Irrtümer, Unterstellungen und Mythen, die über uns bewusst oder unbewusst verbreitet werden.

Fehlinformation Nr. 1: Wir wollten die Kirchensteuer abschaffen:

Wir wollen die Kirchensteuer nicht abschaffen. Im Gegenteil: Ihre Höhe geht nur die Kirchenmitglieder etwas an, bei Umsetzung unserer Forderungen würde sie vielleicht sogar erhöht, denn dann müsste die Kirche aus eben diesen Kirchensteuern auch die Gehälter aller ihrer Bischöfe und deren Verwaltungen bezahlen sowie die Kosten von theologischen Lehrstühlen und Universitäten sowie Militär- und Gefängnispfarrern selbst tragen.

Was wir wollen, ist nur, dass die Kirchen diese Steuer selbst bei ihren Mitgliedern einziehen, und nicht das Finanzamt das mit der staatlichen Steuereinziehung automatisch mit erledigt. So ist es auch in fast allen (oder sogar allen?) anderen EU-Staaten.

Fehlinformation Nr. 2: Wir wollten die Zuschüsse für soziale Arbeit streichen

Im Gegenteil: Wenn der Staat die nach den Staatskirchenverträgen jährlich zu zahlenden Mittel in Höhe von fast einer halben Milliarde Euro weitgehend einspart, könnte er dieses Geld zusätzlich für soziale Zwecke ausgeben.

Mit der notwendigen Ablösung der Staatskirchenverträge und der steuerlichen Gleichstellung der Kirchen mit anderen gemeinnützigen Organisationen würde der konkreten Arbeit der Kirchen in Kindergärten, Pflegeheimen, Beratungsstellen oder Behinderteneinrichtungen kein Cent entzogen. Die Zuschüsse hierfür basieren meist auf Gesetzen und Beschlüssen der Gemeinden und sind normalerweise für alle gemeinnützigen Träger gleich, zudem werden diese Leistungen aus Mitteln der Eltern, der Kranken- und Pflegekassen, etc. finanziert. Die Gehälter von Bischöfen jedoch oder auch die theologischen Lehrstühle sind keine soziale Arbeit, auch die Baulasten für teils nicht einmal denkmalwürdige Kirchbauten sind keine soziale Arbeit.

Fehlinformation Nr. 3: Wir wollten die Militärseelsorge abschaffen

Die Militärseelsorge wird indirekt aus Artikel 4 des Grundgesetzes (Glaubens- und Gewissensfreiheit) begründet. In § 36 des Soldatengesetzes vom 19. März 1956 wird den Soldaten der Anspruch auf Seelsorge und ungestörte Religionsausübung zugesichert.

Der durch Artikel 140 GG in das Grundgesetz inkorporierte Artikel 141 WRV (Weimarer Reichsverfassung) lautet: „Soweit das Bedürfnis nach Gottesdienst und Seelsorge im Heer, in Krankenhäusern, Strafanstalten oder sonstigen öffentlichen Anstalten besteht, sind die Religionsgesellschaften zur Vornahme religiöser Handlungen zuzulassen, wobei jeder Zwang fernzuhalten ist.“

An dieser Regelung wollen wir gar nichts ändern. Jedoch geht aus diesem Gesetz und aus Art. 4 GG nicht hervor, dass die Allgemeinheit aller Steuerzahler die Kosten hierfür trägt. Selbst Soldatenwallfahrten nach Lourdes werden zurzeit aus Steuermitteln finanziert. Wir wollen, dass die Gläubigen und die Kirchen über ihre Kirchensteuer selbst für diese Kosten aufkommen.

Fehlinformation Nr. 4: Wir wollten den Religionsunterricht abschaffen

Selbst dies ist ein Irrtum. Alle Kinder katholischer und evangelischer Konfessionszugehörigkeit sollen weiterhin auf freiwilliger Basis Religionsunterricht erhalten, wenn ihre Eltern dies wollen.

Daneben soll aber, wie in Berlin und Brandenburg bereits Alltag, für alle Schülerinnen und Schüler ein neutraler Religionskunde- und Ethikunterricht angeboten werden. In diesem lernen dann alle auch die Inhalte jeweils anderer Religionen kennen, die Grundlagen unseren Zusammenlebens werden vermittelt (wie die Freiheitlich demokratische Grundordnung, Toleranz, Menschenrechte und Menschenwürde, etc.)

Fehlinformation Nr. 5: Wir wollen die SPD auf „vor Godesberg“ zurückwerfen

Dieser Irrtum ist in mehrfacher Hinsicht gravierend und sehr plump vereinfachend. Zum einen war „Godesberg“ viel mehr als nur die Öffnung der SPD gegenüber Kirchen und Christen. Vor allem verabschiedete man sich davon, eine reine Arbeiterpartei marxistischer Prägung zu sein und öffnete sich der Gesamtbevölkerung und dem Bürgertum. Zudem ging es um die Westintegration, das Verhältnis zur Bundeswehr und vor allem um den Schwenk hin zur Akzeptanz einer sozialen Marktwirtschaft.

Niemand will dies zurückdrehen. Im Gegenteil: So wie man in Godesberg und in späteren Programmen akzeptiert hatte, dass die Welt sich verändert hatte und auf neue Antworten wartete, so wollen wir heute, 50 Jahre später in einer völlig anderen Gesellschaft neue Antworten. Statt 96% Katholiken und Protestanden gibt es nun nur noch 58%, daneben Moslems, Juden und als quasi größte Gruppe die Konfessionsfreien. Dies muss die Politik registrieren und berücksichtigen.

Die Kirche selbst hat sich seit 1995 ebenfalls verändert, und auch die Kluft zwischen der „Basis“ der Konfessionen und den Vertretern der Amtskirche ist gewachsen.

Wäre das Godesberger Programm „heilig“, hätte man es nicht schon mehrfach durch ein neues ersetzt. Auch die Zustimmung zur Atomkraftnutzung stand im Godesberger Programm. Aber auch da hat die Welt sich weitergedreht und geben eine heute zeitgemäße Antwort.

Fehlinformation Nr. 6: Wir hätten extreme und grundgesetzwidrige Forderungen

Auch hier stimmt irgendwie gar nichts:

Wer unsere 11 Forderungen nüchtern betrachtet, kommt zur folgenden Feststellung:

Unsere Forderungen 1. (neutraler Öffentlicher Raum) und 8. (Arbeitnehmerrechte bei den Kirchen) sind in den meisten Ländern Selbstverständlichkeiten und entsprechend der bisherigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte. Auch in den Lissabonner Verträgen gibt es keinen Gottesbezug und der Versuch, einen Gottesbezug in den EU-Verfassungsentwurf zu bringen, scheiterte.

Unsere Forderungen 4., 5., 6., 7., 9. und 10. beziehen sich allesamt auf Privilegien der Kirchen, die aus den Staatskirchenverträgen und dem Reichskonkordat von 1933 hervorgehen. Diese aber sollen ja nach dem Willen des Grundgesetzes abgelöst werden, worauf wir freilich seit 1949 warten. Im Gegenteil: wer diese Pfründe der Kirchen für ewig bewahren will, stellt sich damit gegen den Auftrag des Grundgesetzes.

In Punkt 3. (Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen)  fordern wir eben diese Umsetzung des Grundgesetzartikels 140.

In Punkt 2. wollen wir lediglich ein zeitgemäßes Modell für einen Religionskunde- und Ethikunterricht, wie er in zwei Bundesländern bereits stattfindet. Zusätzlich soll jedes konfessionsgebundene Kind, wenn seine Eltern wollen, weiterhin katholischen oder evangelischen Religionsunterricht besuchen können, wie es in Berlin und Brandenburg der Fall ist. Eine bereits in zwei Ländern umgesetzte Forderung also.

In Punkt 11. möchten wir die Neutralität, die wir für den Staat fordern, auch in unserer eigenen Partei sehen: Niemand verwehrt es religiösen Genossinnen und Genossen, vor einem Parteitag oder einer anderen Parteiveranstaltung Messen oder Gottesdienste auch gemeinsam zu besuchen oder andere religiöse Handlungen vorzunehmen. Gottesdienste haben aber unseres Erachtens im offiziellen Programmablauf nichts verloren, denn sie schließen etwa ein Drittel der Mitglieder aus und sprechen auch nur einen Teil der konfessionsgebundenen Mitglieder an.

Man sieht also: von einem atheistischen Staat keine Rede, die allermeisten Forderungen sind in vielen anderen Ländern Europas und der westlichen Welt Selbstverständlichkeiten.

Fehlinformation Nr. 7: Wir wollten einen religionsfeindlichen, atheistischen Staat

Auch dies ist eine schlichte Falschmeldung, die man aber dennoch manchmal in Kirchenblättern findet. Im Gegenteil garantiert der weltanschaulich neutrale und zurückgenommene Staat erst die freie Entfaltung und Ausübung aller Religionen und Weltanschauungen ohne einzelne davon zu privilegieren oder zu diskriminieren. Ein solcher Staat ist eben nicht atheistisch, genauso wenig wie er christlich oder buddhistisch ist. Er ist der neutrale Staat, der über die freiheitliche demokratische Grundordnung ein „freies und ebenes Spielfeld“ für alle schafft.

Fehlinformation Nr. 8: Wir wollten die SPD weltanschaulich einengen

Diese Unterstellung ist wahrscheinlich die kurioseste. Viele Genossinnen und Genossen stören sich ja gerade daran, dass wir in den letzten Jahren zunehmend eine starke Verengung auf kirchennahe Positionen feststellen müssen und durch eine völlige Distanzlosigkeit und personelle Verklammerung inzwischen gar nicht mehr in der Lage sind, die Kirchen überhaupt noch zu kritisieren und in wichtigen politischen Fragen (wie z.B. auch Präimplantationsdiagnostik, Patientenverfügung und Selbstbestimmtes Sterben, Gleichberechtigung Homosexueller, etc.) Positionen zu vertreten, die denen der Kirchen widersprechen.

Nur so erklärt sich wohl auch, dass zwar die Justizministerin (FDP) oder auch Heiner Geißler (CDU) die Kirchen im Zuge der Missbrauchsskandale kritisierten, aus der SPD-Spitze aber nur Stellungnahmen zu vernehmen waren, die die Kirchenleitung in Schutz nahmen und ihren Umgang mit dem Skandal noch ausdrücklich lobten.

Dieser einseitigen Verengung möchten wir entgegen wirken und die Vielfalt der Meinungen in der Bevölkerung und in der Partei auch in der SPD sichtbar machen.

Fehlinformation Nr. 9: „Man kann keinen Arbeitskreis einrichten, der sich nur gegen etwas richtet“

So sehr ich Frank Walter Steinmeier als Außenminister a.D. und Fraktionsvorsitzenden schätze, aber diese Aussage ist platte Polemik, die nicht mal einer flüchtigen Betrachtung standhält. Ebenso könnte man die ASF in Frage stellen, weil sie nur gegen etwas sei: Gegen die Ungleichbehandlung von Frauen und Männern, gegen die Dominanz der Männer in Gremien und Vorständen, gegen zweierlei Lohn für gleiche Arbeit, etc. Das aber ist dort wie bei uns bloße Sprachakrobatik.

Unsere Ziele sind im Gegenteil allesamt sehr positiver Natur:

  • Wir wollen einen glaubensneutralen, in weltanschaulichen Fragen zurückgenommenen Staat, der allen Bürgerinnen und Bürgern gleiche Entfaltung ihrer Weltanschauung und Religion ermöglicht und nicht eine „Staatsreligion“ bevorzugt und subventioniert.
  • Wir wollen Sprachrohr und Vertretung sein für die Konfessionsfreien, Humanisten, Atheisten und Agnostiker, die heute über 34% der Bevölkerung stellen und überdies eine jüngere, wachsende und überdurchschnittlich gebildete Gruppe dieser Gesellschaft sind.
  • Wir wollen die überfällige und konsequente Umsetzung der Grundgesetzartikel 4 und 140
  • Und wir wollen einen für alle verpflichtenden, Integration befördernden Ethik- und Religionskundeunterricht, der gegenseitige Kenntnis und Toleranz der Weltanschauungen und Religionen ermöglicht.
  • Wir wollen eine wirklich freie Forschung und Lehre, die nicht in irgendwelchen Nischen an religiös gesetzte Grenzen stößt, wie dies z.B. bei Konkordatslehrstühlen der Fall ist.
  • Nicht zuletzt wollen wir eine SPD, die in Glaubens- und Wertefragen eigenständig bleibt und so plural aufgestellt ist, wie die deutsche Gesellschaft, in der sie wirkt.

Wer sich mit den Bischöfen in der Wagenburg der Verteidiger von Kirchenprivilegien verschanzt, mag unsere Forderungen aufgrund der damit einhergehenden Streichungen von unzeitgemäßen Zahlungen an die Kirchen als Neinsager-Katalog empfinden.

Es ist aber ein selbstbewusstes Ja zu einer zeitgemäßen Gesellschaft für alle Bürger. Und für einen Staat auf der Grundlage unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung und auf den Menschenrechten fußt, anstelle einer verquasten und undefinierbaren „christlichen Wertegemeinschaft“, die nur ausgrenzt und von jedem anders verstanden und definiert wird.