Laizität – Weder Verheißung noch Schreckensbild

Laizität – Weder Verheißung noch Schreckensbild. Impulsbeitrag zum Podium anlässlich des Katholikentages 2016

Auf Einladung des Organisationskomitees des 100. Katholikentages in Leipzig fand am Freitag den 27. Mai von 14:00 Uhr bis 15:30 Uhr ein Podium über Religionspolitik und Laizität statt. Unser Sprecher Adrian Gillmann diskutierte mit dem Leiter der EKD-Rechtsabteilung Hannover, Dr. Christoph Thiele, der Politikwissenschaftlerin Dr. Janine Ziegler und Dr. Yasar Aydin. Die Diskussion moderierte der Beauftragte für Weltanschauungs- und Sektenfragen Dr. Harald Lamprecht aus Dresden.

Der folgende, leicht ergänzte, Impulsbeitrag eröffnete die Diskussion und zeigt auf, dass Laizität Zwecke verfolgt, die für eine moderne, zukunftsgewandte Religionspolitik stehen.

 Sehr geehrte Damen und Herren,

Erst einmal vielen Dank für die Möglichkeit, dass ein laizistischer Sozialdemokrat hier vorstellig werden kann. Das zeugt von einer Gesprächsbereitschaft, die angesichts sozialer Herausforderungen unbedingt nötig erscheint.

Laizität als Verheißung oder Schreckensbild? Dieser Titel lässt mich schmunzeln und daran erinnern, was der Philosoph Charles Taylor während der Phil Cologne 2015 zur Religion bemerkte. „Religion als Problem? Religion als Lösung? Das ist naiv gedacht.“

Ebenso verhält es sich mit der Laizität, die ich hier als Haltung und Orientierungsrahmen des politischen Handelns vorstellen möchte. Auf historische oder philosophische Grundlagen kann ich in diesem kurzen Plädoyer nur bedingt bis gar nicht eingehen. Das dürfte von dem Veranstalter jedoch gar nicht verlangt sein.

Laizität, und diese Meinung teile ich mit den meisten Aktiven aus unseren Kreisen, ist nicht als antireligiöse Ideologie zu betrachten, die mit den Mitteln des 19. Jahrhunderts Probleme des 21. Jahrhunderts lösen will. Vielmehr geht es um die Herausforderungen von Gesellschaften, die als säkular, multireligiös und plural verstanden werden, um eine gleichberechtigte Religions- und Weltanschauungspolitik zu gestalten, die Handlungsspielräume eröffnet.

Mit „säkular“ ist hier vor allem ein Staat gemeint, der eine eigenständige politische Freiheits- wie Rechtsordnung aufweist, in welchem das Staatsbürgertum nicht von einer Religion oder Weltanschauung abhängig ist und die Gewissensfreiheit als Grund- wie Menschenrecht vorherrscht. Die Gesellschaft solcher Staaten ist „multireligiös“, denn es gibt nicht nur viele Religionen wie Weltanschauungen, sondern ebenso Formen, wie diese gelebt und verstanden werden. Liberale, orthodoxe, humanistische oder unentschiedene Formen sind zu berücksichtigen, wie neue religiöse Bewegungen, oder agnostische Strömungen. Die Pluralität einer Gesellschaft wird zu einem kulturellen wie sozialen Faktor und ist nicht nur zeitweiliges Faktum.

Eine Laizität des 21. Jahrhunderts ist weder antireligiös, noch antikirchlich, denn welche Sozialform sich die Religionen geben, sollte dem neutralen, säkularen Staat weitestgehend egal sein. Sie ist höchstens antiklerikal, wie einer unser Aktiven formulierte. Laizität wendet sich gegen die Religion der Macht, die politische Religion oder eine totalitäre Weltanschauung: Beispielsweise theokratische Regime, den Gottesstaat oder totalitären Faschismus wie Kommunismus. Alle verletzen ihre Prinzipien.

Egal ob hinsichtlich der Laizität nun zwischen einer republikanischen und einer liberalen Form, wie Charles Tayler es tut,[1] oder einer exklusiven und einer hereinnehmenden Laizität, wie Carlo Cardia es tut,[2] unterschieden wird, es gibt zwei grundlegende Prinzipien, welche die Laizität bestimmen: Die Religionsfreiheit und die Gleichberechtigung der Religionen und Weltanschauungen.

Unter Religionsfreiheit wird dabei eine komplexe Freiheit verstanden, die positive, negative und zeitliche Züge hat. Ein jeder ist im positiven Sinne frei eine Religion oder Weltanschauung zu wählen, oder, im negativen Sinne, keiner Religion oder Weltanschauung anzugehören. Hinzu kommt, was oft vergessen wird, die religiöse Mobilität oder der Wechsel der Weltanschauung. Es ist in laizistischer Hinsicht immer möglich, innerhalb einer Biografie beispielsweise als Atheist zu beginnen und als Evangelischer zu enden. Oder als Katholik zu starten und Buddhist oder säkularer Humanist zu werden. Gerade die nötige Unterscheidung zwischen Staatsbürgertum und Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft, zeigt sich hier als hohes Gut. Niemand muss oder muss nicht einer Religions- wie Weltanschauungsgemeinschaft angehören, um in den Genuss der Grund- und Staatsbürgerschaftsrechte zu kommen.

Dass dies nicht selbstverständlich ist und ohne ein solches Staats- wie Politikverständnis Repressionen oder Verfolgung drohen, könnte uns täglich vor Augen treten. Denken Sie an christliche wie atheistische Minderheiten in bestimmten islamisch geprägten Ländern, islamische Minderheiten wie die Rohingya in Myanmar, oder wiederum Hindus und Buddhisten in den mehrheitlich islamischen Landesteilen Indonesiens.

Aus dieser individuellen Religionsfreiheit, aus welcher sich erst die kollektive ableitet, wird auch das Gleichheitsprinzip verständlicher. Nur wenn der möglichst gleichberechtigte Zugang zu Religionen und Weltanschauungen ermöglicht wird, ist Freiheit garantiert. Dabei darf es keinen Zwang geben, weder einer Religion anzugehören, noch den keiner anzugehören.

Laizistinnen und Laizisten setzen sich deshalb im Besonderen für eine Gleichberechtigung ein, die die Rechte von Minderheitsreligionen, Humanistinnen und Humanisten, Atheistinnen und Atheisten, Agnostikerinnen und Agnostikern stärkt. Dies allerdings unter dem Aspekt, dass es keine „Gleichheit der Privilegien“ bedeuten soll. Unter Privilegien verstehen Laizistinnen und Laizisten beispielsweise die Bevorzugung von Kirchenmodellen hinsichtlich der Anerkennung als Körperschaft öffentlichen Rechts (Inkorporationsregime),[3] oder eine staatliche Finanzierung von religiöser Verkündigung, Mission oder Indoktrination.

Die Mittel der Laizität, die ich hier als Trennung von Kirche und Staat, Politik und Religion sowie einer Neutralität des Staates beschreiben möchte, haben deshalb eine doppelte Funktion. Einmal sollen sie verhindern, dass ein Staatsbürgertum zweiter Klasse entsteht. Ohne die Trennung von Kirche und Staat sowie Staatspolitik und organisierter Religion, könnten Verhältnisse entstehen, die traditionelle Religionsgemeinschaften oder eine Mehrheitsreligion zu bestimmenden Größen im Staat machen. Es könnte ernsthafte, staatsbürgerliche Vorteile mit sich bringen, einer bestimmten Religion oder Weltanschauung anzugehören. Folglich Nachteile, wenn nicht! Eine solche Privilegierung lehnen Laizistinnen und Laizisten mit Recht ab.

Zum Zweiten ist es wichtig, dass der Staat in allen Bereichen seines staatspolitischen Wirkens eine neutrale Haltung ausdrückt, die auch alternative wie eigene Angebote bezüglich des Bildungssektors, des Gesundheitswesens und der öffentlichen Versorgung betrifft. Eine Monopolisierung sozialer, kultureller oder pädagogischer Dienste, die bestimmten Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften lokal, regional oder national zu besonderen Vormachtstellungen verhilft, darf es nicht geben.

Diese staatliche Neutralität muss keine besondere, staatliche Ideologie zur Folge haben, die, wie in republikanischen Systemen, ein besonderes Staatsbürgertum erfordert, sondern kann sich durch den Rückbezug auf Werte wie Menschenrechte, demokratische Lebensformen, soziale Gerechtigkeit und eine friedliche Koexistenz der Religionen und Weltanschauungen stützen.

Für Laizistinnen und Laizisten innerhalb der SPD stehen deshalb Themen wie die staatliche Finanzierung von Religionsgemeinschaften, die Kirchensteuer, konfessioneller Religionsunterricht, das kirchliche Arbeitsrecht, die öffentlich finanzierten konfessionell-theologischen Fakultäten und grundsätzlicher politischer Religionslobbyismus zur Debatte.

Seien Sie beruhigt, auch wir haben keine Patentlösungen anzubieten! Eine Verheißung bleibt deshalb auch von meiner Seite aus. Jedoch möchte ich dafür plädieren, dass die eben kurz skizzierte Haltung, die auch Menschen bei den Linken, den Grünen, der FDP bewegt, Zwecke von allgemeiner Wichtigkeit verfolgt.

„Mehr Laizität zu wagen“ heißt eine Religionspolitik als Gesellschaftspolitik mit anderen Mitteln zu wagen, die naivem Religionslobbyismus ebenso eine Absage erteilt wie antireligiösen Reflexen.

Mit Blick auf die Entwicklungen religiöser und weltanschaulicher Vielfalt in der Gesellschaft, brauchen wir neue Antworten auf Konflikte, die sich abzeichnen. Deshalb ist die Debatte über ein laikales Staatsverständnis sehr wichtig. Dies über Partei- wie Kirchengrenzen hinaus.

Niemand anderes als der Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt brachte es 2011 auf den Punkt:

„Das Grundgesetz gilt für jedermann, der in Deutschland lebt. Daher gilt auch die Religionsfreiheit für jedermann. Deshalb reden wir von Deutschland als einem säkularen Staat. Allerdings ist die Trennung von Staat und Kirche tatsächlich nicht vollständig; […] Hier liegt ein bisher ungelöstes Problem (das es übrigens in vielen europäischen Staaten in ähnlicher Form gibt).“[4]

Ich freue mich auf die Diskussion und verbleibe, nicht ohne Schmunzeln, mit einem kräftigen liberté, egalité, laicité!




[1] Für Taylor sind Staatsordnungen, die eine vollständige Trennung von Staat und Kirche und eine eigene Werteordnung sowie die Emanzipation der Staatsbürgerinnen und –Bürger der Religion entgegensetzen möchten republikanisch. Hingegen sind liberale Regime der Laizität offener für die freie, gleichberechtigte Religionsausübung und hinsichtlich der Gestaltung moralischer und religiöser Vielfalt zweckorientierter. Taylor, Charles und Jocelyn Maclure: Laizität und Gewissensfreiheit [Laicité et liberté de conscience], Berlin 2011 [Quebec 2010].

[2] Für Cardia ist die exklusive oder „alte Laizität“ diejenige, welche der Religion misstraut, während die neue Laizität, unter Bedingungen der Multikulturalität, der Religion (wieder) vertraut. Vgl. Cardia, Carlo: „Säkulare Sicht“, in: Libero Gerosa und Ludger Müller: Politik ohne Religion? Laizität des Staates, Religionszugehörigkeit und Rechtsordnung, Paderborn 2014, 33-35 und 48-49.

[3] Anhand des Prozess um die staatliche Anerkennung der Zeugen Jehovas zeigt Steffen Rink auf, dass der Staat durch den Status einer Körperschaft öffentlichen Rechts Religionsgemeinschaften in seine Nähe rückt und gegenüber anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen privilegiert. Rink, Steffen: „‘Die Verfassungsbeschwerde ist begründet‘. Das Verfahren um die Körperschaftsrechte der Zeugen Jehovas aus religionswissenschaftlicher Perspektive“, in: Astrid Reuter und Hans G. Kippenberg: Religionskonflikte im Verfassungsstaat, Göttingen 2010, 357-358.

[4] Vgl. Schmidt, Helmut: Religion in der Verantwortung. Gefährdungen des Friedens im Zeitalter der Globalisierung, Berlin 2011, 248.