Säkulare Wahlprüfsteine: Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans

(c) Werner_Schüring

1. Staatliche Neutralität hinsichtlich Religionen wie Weltanschauungen und der säkulare Rechtsstaat garantieren das friedliche Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Gesinnung. Die säkulare Tradition der SPD kann hier anknüpfen. Wie wichtig ist politische Säkularität, die Religionen weder diskriminiert noch privilegiert?

Politische Säkularität bedeutet, dass Kirchen und Religionen keine weltliche Macht ausüben. Der demokratische Rechts- und Verfassungsstaat darf seinen Bürgerinnen und Bürgern weltanschauliche oder religiöse Überzeugungen weder vorschreiben noch darf er sie unterdrücken. Er hat die Religions- und Glaubensfreiheit zu schützen. Auch indem er jeder Religion und Weltanschauung Grenzen setzt: Ihre Freiheit endet dort, wo sie die Freiheit anderer zu beschränken droht. Also lautet die Antwort: Politische Säkularität ist nicht nur wichtig, sie ist eine Voraussetzung für ein Leben in Freiheit.

2. Respekt und Toleranz sind Grundwerte unserer Demokratie, die insbesondere von der Sozialdemokratie erstritten wurden und verteidigt werden. Verdienen Angehörige aller Religionen, soweit sie sich an das Grundgesetz und die allgemeinen Gesetze halten, den gleichen Respekt und gilt dieser Respekt in gleicher Weise auch gegenüber den Menschen, die sich zu keiner Religion bekennen?

Jeder Mensch hat die gleichen Rechte und verdient den gleichen Respekt, ganz gleich was er glaubt und ob er glaubt.

3. Seit über 100 Jahren erhalten die kirchlichen Organisationen aus allgemeinen Steuermitteln hohe staatliche Leistungen für ihre hauptamtlichen Mitarbeiter (Kardinäle, Bischöfe, …). GG Artikel 140 (entspr. Art. 138 WRV). Werdet Ihr Euch dafür einsetzen, diese Leistungen abzu-schaffen oder zu reduzieren?

Politische Säkularität (s.o.) ist nicht zu verwechseln mit Laizität, also einer vollständigen Trennung von Staat und Kirche wie zum Beispiel in Frankreich. Die von Euch zitierten Artikel sind Ausdruck eines Verfassungskompromisses, der mühsam errungen wurde und den wir nicht in Frage stellen. Ein Großteil der Leistungen ist von Verfassung wegen geboten oder muss aufgrund von Konkordaten gewährt werden. Bei allen übrigen Leistungen gilt, was bei allen staatlichen Leistungen gilt. Es muss regelmäßig überprüft werden, ob sie noch gerechtfertigt sind und wie wir noch offene Fragen lösen könnte. Der ins Grundgesetz übernommene Artikel 138 der Weimarer Verfassung sieht eine Ablösung der Zahlungspflichten an die katholische Kirche durch die Länder übrigens ausdrücklich vor – allerdings auf der Grundlage einer hohen einmaligen Entschädigung.

4. Kirchliche Einrichtungen erhalten für den Unterhalt von Kindergärten, Schulen, Krankenhäusern … bis zu 100 Prozent staatliche Unterstützung. Werdet Ihr Euch dafür einsetzen, dass sie künftig mit anderen sozialen Einrichtungen, wie z.B. Arbeiterwohlfahrt, Rotes Kreuz gleichgestellt werden?

Soweit das rechtlich möglich ist, ja. Für uns gilt dabei auch, dass Einrichtungen, die nahezu zu 100 Prozent aus Steuermitteln finanziert werden, kein Recht haben dürfen, Angehörige ihrer Religionsgemeinschaft oder ihres Vereines zu bevorzugen. Eine Kita, die nahezu zu 100 Prozent staatlich finanziert wird, muss auch allen Bürgerinnen und Bürgern unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit oder Vereinsmitgliedschaft die gleiche Chance gewähren, dass ihr Kind aufgenommen wird.

5. Die Kirchen beanspruchen für sich ein eigenes Arbeitsrecht und halten sich beispielsweise bei Einstellungen und Entlassungen nicht an die allgemeinen Gesetze. Werdet Ihr Euch für die Durchsetzung der staatlichen Gesetze auch in religiösen Einrichtungen einsetzen?

Ja. Aus unserer Sicht ist es eine falsche Auslegung des Grundgesetzes, auch das Arbeitsrecht unter die „eigenen Angelegenheiten“ der Religionsgemeinschaften zu fassen und den Religionsgemeinschaften hier weitreichende Abweichungen von den allgemeinen Regeln zu gestatten. Normale Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ohne sakrale Funktion (z.B. in kirchlichen Krankenhäusern, Pflegeheimen oder Kindertagesstätten) sollten vollumfänglich unter die Regelungen des Arbeitsrechts fallen.

6. Werdet Ihr Euch dafür einsetzen, dass auch Missbrauchsfälle in den Kirchen primär der staatlichen Ermittlung und Rechtsprechung unterliegen müssen?

Das ist schon jetzt geltendes Recht – und muss selbstverständlich auch durchgesetzt werden.

7. Werdet Ihr Euch für die Einführung eines gemeinsamen integrativen, kundig machenden Unterrichts über Religionen/Weltanschauungen, Ethik und kulturelle Normen an allen Schulen einsetzen?

Wir setzen uns dafür ein, dass es ein Wahlrecht zwischen Religionsunterricht und einem allgemeinen Ethikunterrichts gibt. Auch im Religionsunterricht sollte freilich auf neutrale Weise Wissen über andere Religionen und Weltanschauungen vermittelt werden. Ob Ethik- oder Religionsunterricht: Ein Bildungsziel ist Respekt und Toleranz gegenüber den verschiedenen Weltanschauungen und Religionen.

8. Werdet Ihr Euch beim Bundesparteitag für die Einrichtung eines offiziellen Arbeitskreises Säkulare in der SPD als Ergänzung zu den bestehenden AKs der Christen, Juden und Muslime einsetzen, um die aufgeworfenen Fragen in einem offenen Dialog zu diskutieren und Lösungsvorschläge zu erarbeiten?

Grundsätzlich gibt es keine Gründe, warum sich Säkulare oder agnostische Humanisten in der SPD nicht genauso in Arbeitskreisen organisieren sollten wie Christen, Juden oder Muslime. Es kommt darauf an, welchen Ziele sich ein solcher Arbeitskreis setzen würde. Wir sagen zu, dass wir diese Frage mit entsprechenden Interessent*innen ergebnisoffen erörtern werden, wenn wir zu Parteivorsitzenden gewählt werden.

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