Eine säkulare Bewegung für alle? Hamburger Impulse!

Während eines Vortrages mit Diskussion zum Thema KIRCHE und STAAT der SPD Hamburg, Distrikt Groß Borstel, am 17. April, wurden die Stärkung der säkularen Be-wegung in unserer Gesellschaft besprochen. Es ging dabei um eine Bewegung für alle Staatsbürger/Staatsbürgerinnen, die sich keiner oder wechselnden Religionen wie Weltanschauungen zugehörig fühlen können. Unser Bundessprecher Gerhard Lein präsentierte Leitfragen und Antworten, die durchaus der weiteren politischen Arbeit dienlich sind. Der folgende Beitrag übernimmt in angepasster Form, die wesentlichen Gedanken aus dem Protokoll.

Warum eine säkulare Bewegung? Wir haben doch Religionsfreiheit bei uns, und es gibt grundsätzlich eine Trennung von Kirche und Staat!

Wie präsent die institutionalisierten Religionsgemeinschaften (die Kirchen) dennoch in unserer Gesellschaft sind, erleben wir ständig bei Diskussionen/Kontroversen z.B. im Hinblick auf Kindergärten und Schulen, bei der Diskussion um Schwangerschaftsabbruch, Sterbehilfe-Begleitung, bei der Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus und dem Islam. Ganz aktuell z.B. die Kontroverse um Konfessionszugehörigkeit als Voraussetzung für eine Einstellung in einer kirchlichen Einrichtung. Auch die Lehrverbote für „aufmüpfige“ Vertreter der Kirche wie z.B. Hans Küng sind gut bekannt. Im Zusammenhang eines solchen Umganges mit Kritikern gilt es sinngemäß an einen Ausspruch zu erinnern, der Papst Benedikt, damals noch Präfekt der Glaubenskongregation, zugeschrieben wird: „Der christliche Gläubige sei eine einfache Person. Aufgabe der Bischöfe sei es, diese kleinen Leute vor dem Einfluss der Intellektuellen zu bewahren“!

Die Verzahnung von Kirche und Staat sowie ihre verschiedenen Formen der Durchdringung, sind nicht ohne Blick in ihre komplexe Geschichte zu verstehen.

Anders als in Frankeich, wo das sogenannte laizistische System vorherrscht – eine strenge Trennung von Kirche und Staat, die nach der Französischen Revolution (als jeder nach seiner Religion leben konnte) von Napoleon im Code Civil eingeführt wurde –  galt bei uns lange die Regelung, dass die Menschen in den einzelnen Landesteilen die Religion des jeweiligen Landesherrn anzunehmen hatten (Stichwort: Augsburger Religionsfrieden).
Bismarck versuchte dann im 19. Jh. gegen die allgegenwärtige Präsenz der katholischen Kirche in zahlreichen Bereichen der Gesellschaft mit Gesetzen vorzugehen (Kulturkampf). Er wollte eine Trennung von Kirche und Staat erreichen und einen souveränen, für damalige Verhältnisse modernen Staat durchsetzen, der die Zivilehe sowie staatlichen Unterricht organisiert.

Die Weimarer Verfassung von 1919 schließlich legte fest, dass es keine Staatskirche gibt – somit wurde dort die Trennung von Kirche und Staat manifestiert. Das Recht auf Gründung von Religionsgemeinschaften wurde gewährleistet, ebenso ihr Recht auf Selbstverwaltung, und sie wurden als Körperschaften öffentlichen Rechts eingestuft – hatten somit das Recht, Beiträge über den Staat zu erheben (Stichwort: Kirchensteuer).

Während der Nazizeit gab es durchaus kirchlichen Widerstand, aber im Großen und Ganzen sehr viel Kollaboration zwischen dem Regime und den Kirchen. Die Kurie schloss 1933 mit Adolf Hitler ein Reichskonkordat ab, das zunächst für beide Seiten einen Gewinn bedeutete: Für das Dritte Reich einen Ansehenserfolg und die „Ruhigstellung“ der katholischen Kirche, für die katholische Kirche zahlreiche Garantien für ihre Bediensteten (Stichwort u.a.: Garantiertes Beichtgeheimnis, Gültigkeit kirchlicher vor standesamtlicher Trauung im Notfall, katholischer Religionsunterricht) Erkauft wurde das jedoch mit der Aufgabe ihrer politischen Ämter und Aktivitäten, wie auch der Auflösung der Zentrumspartei. Späte Kirchenkritik am Nationalsozialismus kam erst auf, als die katholische Kirche erkannte, dass das Konkordat von Seiten des Dritten Reiches vielfach gebrochen wurde. Die politische Bewertung der katholischen Kirche in ihrer Haltung gegenüber dem Dritten Reich bewegt sich von „Verständnis für ihre Duldungshaltung, um Schlimmeres – auch/vor allem für sich selbst? – zu verhüten und heimlich zu helfen“ bis zur „Anklage wegen Nichteingreifens in einem menschenunwürdigen System“.

Die Protestanten im Dritten Reich waren innerlich zerrissen: Zum einen die Deutschen Christen, die sich dem Regime andienten, zum anderen die Bekennende Kirche, die sich vom Nationalsozialismus distanzierte und später federführend war beim Stuttgarter Schulderkenntnis und dem Neubeginn der EKD nach 1945, die auch eine Anerkennung einer eigenen Schuld im Nationalsozialismus bedeutete.

Im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland
wurden alle Kirchenartikel der Weimarer Verfassung übernommen und in Art.140 GG zusammengefasst . Damit ist zwar die Trennung von Kirche und Staat der Weimarer Republik übernommen worden, andererseits aber sind Religionsgemeinschaften Körperschaften öffentlichen Rechts. Sie genießen Religionsfreiheit und verfassungsmäßige Rechte im öffentlichen Bereich, was das Staat-Kirche-Verhältnis von republikanisch laizistischen Systemen (C. Taylor) unterscheidet.

In Art. 7GG wird festgelegt, dass das deutsche Schulwesen und damit auch der Religionsunterricht unter Aufsicht des Staates steht, diese Aufsicht wird jedoch (anders als in der Weimarer Verfassung) von den einzelnen Bundesländern ausgeübt. Wieder ist bei uns Religion Ländersache – wenn auch jetzt unter anderen Vorzeichen als früher, denn das Nebeneinander verschiedener Konfessionen und Weltanschauungen ist durch die Religionsfreiheit garantiert. Der Unterricht wird „in Übereinstimmung mit den Glaubensgrundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt“. Das gilt jedoch nicht einheitlich im gesamten Bundesgebiet, denn mit der sogenannten „Bremer Klausel“ haben Länder die Möglichkeit, ihren Unterricht nicht zwingend religiös zu gestalten, bzw. andere Akzente zu setzen (z.B. Ethik-Unterricht). Davon wird heute zahlreich Gebrauch gemacht.

Ebenfalls mit alten Staatsverträgen des Deutschen Reiches übernommen, wurde das Reichskonkordat in Art. 123 GG .Es enthält zahlreiche Regelungen über Rechte der katholischen Kirche im Verhältnis zum Staat, insbesondere im Schulwesen. Die Katholische Kirche sah ihre Rechte durch die niedersächsische Verfassung mit ihren Regelungen im Schulwesen gefährdet. Sie veranlasste die damalige Bundesregierung, gegen die niedersächsische Verfassung und auf Fortbestehen des Konkordats zu klagen, denn ihre Rechte würden lt. Konkordat fortbestehen. Wichtig für die Länderhoheit in Sachen Religionsunterricht war deshalb das Konkordatsurteil des Bundesverfassungsgerichts vom März 1957. Es stellte fest, dass der Verfassungsgeber die verbindliche Gültigkeit des Konkordats für die Bundesrepublik Deutschland weder anerkannt, noch abgelehnt hat.
Es ist somit offen, ob es weiterbestehe, und für eine endgültige Regelung müssten die Beteiligten an dem Vertrag ihre Rechte und Einwendungen vortragen. Auch sei das Schulwesen explizit vom Bund in die Länderhoheit gegeben worden; somit seien Regelungen im Konkordat, die das Schulwesen betreffen, in Länderrecht übergegangen – und die Länder könnten nicht verpflichtet werden, gegenüber dem Bund die Schulregelungen des Konkordats einzuhalten.

Somit gibt es bei uns seit 1945 zwar eine Trennung von Kirche und Staat, die jedoch nur eine organisatorische ist, weil Religionsgemeinschaften sowohl
im privaten, wie auch im öffentlichen Bereich besondere Rechte für die Ausübung ihrer Glaubenssätze genießen – denn sie sind gleichzeitig Körperschaften öffentlichen Rechts. Dies hat ständige Kontroversen über Rechte und Grenzen von Kirchen in öffentlichen Bereichen zur Folge, da die institutionellen Kirchen ihre Rechte in der Auseinandersetzung mit der staatlichen Obrigkeit vehement vertreten – und das nicht nur im Schulwesen, wo der Religionsunterricht durch die Länder organisiert wird und je nach Land zu unterschiedlichen Ausrichtungen führt.

Wie steht die SPD zu diesem „hinkenden Verhältnis“?

Das Godesberger Programm der SPD von 1959 ist ein Meilenstein für die Entwicklung unserer Gesellschaft gewesen, wobei dem Abschnitt Religion und Kirche  besondere Bedeutung zukommt. Denn die SPD weist sich als Volkspartei aus und „achtet die Kirchen und die Religionsgemeinschaften, ihren besonderen Auftrag und ihre Eigenständigkeit. Sie bejaht ihren öffentlich-rechtlichen Schutz [….]. Sie begrüßt es, dass Menschen aus ihrer religiösen Bindung heraus eine Verpflichtung zum sozialen Handeln und zur Verantwortung in der Gesellschaft bejahen.“Alle gläubigen Menschen sind in der SPD willkommen, anders als es noch das Heidelberger Programm betonte, wo sich viele gläubige Menschen eher in der Zentrumspartei bzw. später in der CDU/CSU zu Hause fühlten. Viele SPD Mitglieder sind nach wie vor Mitglied einer Kirche. Es wurde sozusagen „Frieden geschlossen zwischen Christen und Sozialisten“. Damals aber waren noch ca. 80% der Bevölkerung zumindest strukturell konfessionell.

Wie ist die Situation heute?

Heute sind weit weniger Bürgerinnen und Bürger Mitglieder von Kirchen. Viele Bundesbürger/Bundesbürgerinnen fühlen sich heute von den institutionalisierten Religionsgemeinschaften nicht mehr vertreten, sind nicht religiös, konfessionsfrei, agnostisch, atheistisch, oder gehören einer kleineren Weltanschauungsgemeinschaft an. Weniger als die Hälfte der Bevölkerung in Hamburg ist noch Mitglied in einer Glaubensgemeinschaft. Dennoch gibt es fast so etwas wie eine politische „Beißhemmung“ gegenüber dem Einfluss der Kirchen, auch wenn viele Bürger/Bürgerinnen sich immer wieder über die zahlreichen Privilegien der Kirchen ärgern,
wie das Recht, finanzielle Beiträge über den Staat zu erheben, oder die „Staatsleistungen der Länder [… oder] Steuervorteile,
welche über die Belange der Gemeinnützigkeit und der Kulturförderung hinausgehen“. Hamburg hat z.B. Verträge mit den beiden großen Kirchen abgeschlossen, auch mit der jüdischen Gemeinde und mit den drei Spitzenorganisationen der Muslime, was durchaus sinnvoll ist, um die in Moscheen gelehrten Glaubenssätze zu kontrollieren, die oft nicht mit unserer Demokratie vereinbar sind. Vertragsstrukturen verpflichten schließlich beide Seiten. Diese Verträge sind mit erheblichen Vorteilen, auch finanzieller Art verbunden. Die Kirchen halten ihre Wirtschaftslage jedoch vielfach intransparent und fordern staatliche Zuschüsse oft ohne Not ein.
Aufgrund ihrer Stellung im Grundgesetz als öffentlich-rechtliche Instanz und mit Hilfe ihrer starken Lobbyarbeit setzen die Kirchen ihre Interessen konsequent durch. Ihre Stärke liegt auch in ihrer Organisationskraft und ihrer Bedeutung als Arbeitgeber. Sie können eigene Krankenhäuser, Kindergärten und Schulen errichten und dort das Ziel einer kirchlichen Erziehung erreichen. An dieser Stelle verhindert das vielfach gelobte Subsidiaritätsprinzip, dass staatliche und weltanschaulich neutrale Einrichtungen ermöglicht werden, wenn z.B. die Kirche an einer Stelle einen Kindergarten errichtet und es deshalb der Staat es an der gleichen Stelle nicht mehr darf.

Was kann eine säkulare Gemeinschaft bewirken?

In Hamburg hat sich ein „säkulares Forum“ gegründet, das die Interessen säkularer Bürger öffentlich artikulieren soll. Verglichen mit den etablierten Religionsgemeinschaften ist das Forum klein, auch schon deshalb, weil Menschen, die sich von Konfessionen abgewandt haben oder abwenden, nicht als erstes auf der Suche nach neuen Organisationen sind. Eine säkulare Gemeinschaft kann in genau solchen Situationen Abhilfe schaffen. Sie kann an genau den Stellen, wo der Staat es nicht darf, eigene Kindergärten errichten und diese als eingetragener Verein und damit als Körperschaft öffentlichen Rechts eigenverantwortlich über Beiträge finanzieren. Sie kann sich dafür einsetzen, dass das bisherige Kirchensteuermodell abgeschafft wird und durch ein eigenverantwortliches
Beitragssystem ersetzt wird. Auch die sog. Staatsleistungen (Geldzahlungen an Kirchen, denen ihre Besitztümer 1803 enteignet wurden), die in der Weimarer Reichsverfassung (und damit übernommen ins Grundgesetz) als abzulösen vorgesehen sind, müssen auf die Tagesordnung. Für Hamburg gilt dies im Besonderen nicht, weil es hier bei der Neuordnung Europas 1803 keine Enteignungen von Kirchenvermögen stattgefunden hat.

Sie kann dafür eintreten, dass das Miteinander von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, von konfessionsfreien, humanistischen, agnostischen Gruppierungen und Minderheitsreligionen in einer säkularen Gemeinschaft rechtlich nicht mehr über den Status von Körperschaften öffentlichen Rechts geregelt wird, sondern auf Basis des Vereins- und Verbandsrechts – wobei alle Gemeinschaften die gleichen Rechte und Pflichten gegenüber dem Staat haben und in der gleichen Distanz zu ihm stehen.

Sie kann sich dafür starkmachen, dass das bisherige „System der staatlichen Verträge mit den Religionsgemeinschaften
abgelöst und bei Regelungsbedarf durch allgemeine Gesetze neu bestimmt wird.

Sie kann in einer multireligiösen, säkularen Gesellschaft ein Zuhause sein für all die Bürgerinnen und Bürger, die sich von den institutionellen Religionsgemeinschaften nicht vertreten fühlen, die individuell gläubig oder nicht gläubig sind, sich aber verantwortlich in die Gesellschaft einbringen wollen.

Wofür tritt der bundesweite Arbeitskreis säkularer Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ein, der noch keine von der SPD-Parteiführung anerkannte Untergliederung ist, sich jedoch intensiv darum bemüht?

Für eine Anerkennung durch den Parteivorstand mit dem Ziel, dass säkulare Sozialdemokraten genauso wie jeweils Christen, Juden und Muslime in der SPD eine eigenständige sprachfähige Gruppe darstellen. In Hamburg haben wir die besondere Situation, dass es keine bekenntnisorientierten Arbeitskreise gibt. Die Säkularen arbeiten in einem „AK Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften“ mit.

Da der Religionsunterricht (Art. 7 (3) GG) ein Bekenntnisunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften
ist, aber von den einzelnen Bundesländern unterschiedlich verantwortet wird, gibt es hier keine ganz einheitliche Lösung: Für Hamburg mit seinem „Religionsunterricht für alle (in evangelischer Verantwortung)“ in den Klassen 1-6 muss die Möglichkeit geschaffen werde, dass säkular geprägte Schülerinnen und Schüler ihre Konfessions-„Freiheit“ genauso selbstbewusst darstellen und leben können.

Diese gegenseitige Wertschätzung gibt es derzeit nicht. Zugleich ist der Religions- und Werteunterricht im Klassenverband ein wichtiger Ort für die Beförderung des gegenseitigen Verständnisses.

Zudem kann sich der Arbeitskreis für ein Religionsverfassungsrecht einsetzen, das alte Kirchenrechtsverhältnisse reformiert. Nicht zuletzt geht es auch darum mit anderen Parteien mitzuhalten, um moderne Religions- und Weltanschauungspolitik zu gestalten. Auf Betreiben der anerkannten BAG Säkulare Grüne haben die Grünen beispielsweise schon seit 2 Jahren ein entsprechendes Papier, mit dem sie sich dem Problem „Kirche und Staat“ stellen. Die SPD sollte hier in nichts nachstehen und eigene Ideen verwirklichen.