Frankfurter Begegnungen: Bericht des Bundestreffens 2019

Das Bundestreffen 2019 am 9. November in Frankfurt war ein Treffen voller Begegnungen, denn es nahmen neben dem Sprecherkreis und Säkularen Sozis auch viele Gäste teil, wie etwa Engagierte der AG Säkulare Organisationen Hessen, der Landesschüler*innenvertretung Rheinland-Pfalz und die Allgemeinmedizinerin Kristina Hänel.

Es wurden sowohl eine Frankfurter Erklärung als auch die Strukturierung des Sprecherkreises, mit Bestätigung der Vorsitzenden sowie neu hinzugewählten Sprechern beschlossen, die ganz im Zeichen einer möglichen Anerkennung eines Arbeitskreises von Säkularen in der SPD stehen.

Nach der Begrüßung durch Lale Akgün und Adrian Gillmann, einem Zitat aus der „Bibel der Atheisten“ und der Verabschiedung der Tagesordnung, erfolgten Grußworte von Martin Wagner, dem Landesvorsitzenden des IBKA und Vertreters der AG Säkulare Organisationen Hessen, der SPD-Landtagsabgeordneten und Landtagsvizepräsidentin Heike Hofmann sowie dem Stadverordneten Gregor Amann, einem der lokalen Unterstützer der Säkularen Sozis.

Martin Wagner (c)hofbbs

Martin Wagner wies in seinem Grußwort auf die historische Bedeutung des 9. November hin. Dieser Tag erinnere sowohl an dunkle als auch an freudige Ereignisse. Die Sozialdemokraten müssten auch künftig säkulare Positionen in ihrer Partei zu ihrem Recht kommen lassen. Schon die Paulskirchenversammlung in Frankfurt habe im Jahre 1848 Religionsfreiheit für alle Deutschen festgelegt. Dazu gehöre auch die Freiheit von Religion. Die Trennung von Staat und Kirche bleibe eine notwendige Voraussetzung. Wagner kritisiert die Religionspolitische Jahrestagung der Friedrich-Ebert-Stiftung, die sich mit einer angeblich neuen Religionspolitik befassen wolle, von der aber eher eine Verfestigung überkommener Strukturen zu erwarten sei. Es gebe deshalb für die Säkularen noch viel zu tun in der SPD. Dafür wünsche er dem künftigen Arbeitskreis Mut, Ausdauer und Erfolg.

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Für ein partnerschaftliches Verhältnis von Religion und Politik, aber auch für weltanschauliche Neutralität des Staates, sprach sich die Landtagsvizepräsidentin Heike Hofmann aus. So habe sich der kirchenpolitische Beirat der Landes-SPD, deren Sprecherin sie ist, bei der gegenwärtigen Verfassungsdiskussion in Hessen  gegen die Aufnahme eines Gottesbezugs in die Verfassung ausgesprochen.

Bei einem Bevölkerungsanteil von 37 Prozent religiös nicht gebundener Bürger müsse man auch deren Interessen berücksichtigen. Die SPD habe in Hessen die Einführung eines Islamkundeunterrichts unterstützt, betonte Hofmann. Gleichzeitig kritisierte sie den sogenannten 3. Weg der Kirchen, der Sozialdemokraten schwer zu vermitteln sein. Man müsse auf die Gewerkschaften einwirken, bei tarifvertraglichen Vereinbarungen die Wahrung gesetzlicher Vorschriften auch für kirchliche Mitarbeiter durchzusetzen.

Gregor Amann (c)hofbbs

Jede Religion müsse durch den Staat gleich und neutral behandelt werden, betonte Gregor Amann zu Beginn der Tagung, aber leider sei die staatliche Neutralität nicht in wünschenswertem Maße realisiert. Auf seinen Antrag hatte der SPD-Unterbezirk die Initiative auf Einsetzung eines Säkularen Arbeitskreises auf Bundesebene mit breiter Mehrheit beschlossen. Er hoffe, dass sich diesem Antrag viele weitere Untergliederungen und Delegierte beim Bundesparteitag im Dezember anschließen.

Diese Aufbruchstimmung war auch der Tatsache geschuldet, dass die AG 60plus der SPD als erste Bundesarbeitsgemeinschaft einen Initiativantrag zur Anerkennung der Säkularen auf den Weg gebracht und sich die SPD in Berlin für die Einrichtung eines Landesarbeitskreises der Säkularen ausgeprochen hat. Dies berichteten Uli Bieler und Bruno Osuch aus Berlin, die beide betonten, dass Humanisten und Säkulare in der Landeshauptstadt an einem Strang ziehen wollen, um die gemeinsame Arbeit vor Ort und im Netzwerk sicherzustellen.

Grußworte (c)hofbbs

Des Weiteren berichteten die Sprecherinnen und Sprecher aus den Ländern von unterschiedlichen Situationen wie Herausforderungen. In Hamburg, wo sich die Säkularen in einem gemeinsamen Arbeitskreis mit den Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften befinden, finden Treffen alle zwei Monate im Parteihaus statt, wie Gerhard Lein betonte. Hingegen wurde ein Anerkennungsantrag in NRW, wie Gisela Neubauer-Gering berichten konnte, trotz Fürsprache von Jusos und AsF, auf dem Landesparteitag vertagt. Die dortige SPD sei kirchlich sehr stark gebunden und sich wohl noch uneins, wie sie es mit den Säkularen halten wolle.

Andreas Becke (c)hofbbs

Hier hätten Unentschlossene noch von dem Vortrag von Dr. Andreas Becke aus Hannover etwas lernen können, der auf die Länderaussprache erfolgte. Sein „Philosophischer Beitrag zur Säkularisierung“ klärte über die Herkunft wie Debatte um Begriffe wie „Säkularität“ und „Säkularisierung“ auf und strich die ideengeschichtliche Eigenständigkeit wie Emanzipation der Philosophie von der Religion heraus. Auch die Bezeichnung des „Postsäkularen“ bei dem bekannten Philosophen Jürgen Habermas wurde als zeitliche und nicht inhaltliche Einordnung besprochen, denn Auswirkungen eines säkularen Diskurses würden sich gerade erst gesellschaftlich auswirken und seien nicht überwunden.

Nach der Mittagspause, bevor die Ärztin Kristina Hänel ihren vielbeachteten Vortrag zu „Der Kampf um den § 219a – Medizin und Moral“ hielt, ergriff noch der Frankfurter SPD-Vorsitzende und Stadtplanungsdezernent Mike Josef das Wort. Er wies auf die Vielfalt seiner Stadt hin, die sich nicht nur im Städtebau zeige, sondern von Menschen aus 180 Herkunftsländern mit unterschiedlichen Glaubensrichtungen manifestiert werde. Bei einem christlichen Bevölkerungsanteil von lediglich 36 Prozent gehörten zwei Drittel aller Frankfurter keiner christlichen Religion an. Auch aus diesem Grund wünsche er sich, gerade auch als Christ, die Anerkennung des Arbeitskreises Säkulare durch den Bundesparteitag.

Mike Josef und Kristina Hänel (c)hofbbs

Durch den Vortrag von Kristina Hänel wurde bewusst, dass die von Union und SPD vollzogene Reform des §219a eine „Verschlimmbesserung“ darstellt. Zwar ist es Ärztinnen und Ärzten nun erlaubt anzugeben, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornehmen und auf Informationen von Seiten der Landesärztekammern zu verweisen, allerdings sind dafür jegliche weitere Informationen zu Methoden, Verfahren, Risiken und Nebenwirkungen umso eindeutiger strafbar. Aus einem Werbeverbot ist somit auch ein eindeutigeres Informationsverbot geworden, das weiterhin von sogenannten „Lebensschützern“ dazu verwendet werden kann, um Ärztinnen und Ärzte zu kriminalisieren. Frau Hänels eigene Verurteilung nach dem §219a wurde an das Landgericht Gießen zurückverwiesen und sie rechne mit einer erneuten Verurteilen, wenn auch mit milderem Strafmaß. Alle Anwesenden waren über diese Klarstellung überrascht wie empört und sprachen sich für eine klare Haltung der Säkularen Sozis gegenüber Abgeordneten und Partei aus: Der §219a gehört abgeschafft!

Nach einer kurzen Pause wurde es spannend, denn Lucia Wagner und ihre Kollegen von der Landesschüler*innenvertretung Rheinland-Pfalz (LSV-RLP) durften von ihrem mutigen Vorstoß erzählen, den konfessionellen Religionsunterricht abzuschaffen, was einen entsprechenden Niederhall in der Presse gefunden hatte.

Landesschüler*innenvertretung RLP (c)hofbbs

Die Engagierten waren von den Reaktionen überrascht, die vor allem aus politischen und kirchlichen Kreisen kamen, denn ihre Absicht war es gewesen für einen gemeinsamen Unterricht aller Schülerinnen und Schüler über Religionen und Weltanschauungen einzutreten. Es wurde klar herausgestellt, dass in einer multireligiösen und pluralen Gesellschaft eine gemeinsame Bildung sowie ein respektvoller Dialog den Vorrang vor Trennung in Konfessionen und einer Privilegierung christlicher Religion haben. Egal ob religiös oder nichtreligiös, es ging den Aktiven um die Interessen junger Menschen, die einen zeitgemäßen Unterricht einfordern, der für die LSV am Besten in einem neuen Unterrichtsfach gewährleistet werden kann.

Die „jungen Wilden“ (c)hofbbs

Update: In einer Pressemitteilung vom 14. November verdeutlicht die LSV-RLP ihre Position und hebt die Tatsache hervor, dass die öffentlichen Schulen im Land als „bekenntnisfreie Schulen“ geführt werden könnten und sich so ein konfessioneller Religionsunterricht auch ohne Änderung des Grundgesetzes durch ein anderes Fach ersetzen ließe.

In der Antragsberatung, im Anschluss an die Gastbeiträge, wurde die Frankfurter Erklärung, die vom Bundessprecherkreis eingebracht worden ist, nach ausführlicher Diskussion und verschiedenen Änderungsanträgen einstimmig beschlossen. Außerdem wurde einem Strukturantrag einstimmig stattgegeben, der die bisherige Arbeit des Sprecherkreises mittels Vorsitzenden und einem Pressesprecher auch organisatorisch regeln soll.

Bei den anschließenden Nachwahlen wurde der Sprecher der Landesgruppe Rheinland-Pfalz der Säkularen Sozialdemokraten, der Rechtsanwalt Wolfgang Frisch aus Kaiserslautern, in den Sprecherkreis nachgewählt. Zudem sind Lale Akgün und Adrian Gillmann als Vorsitzende des Sprecherkreises und Norbert Reitz als Pressesprecher bestätigt und gewählt worden. Alle Wahlen wurden ohne Gegenstimmen bei Enthaltung der Kandidaten vollzogen.

Beratungen beim Bundestreffen (c)hofbbs

Bei der anschließenden Strategieberatung konnte bekräftigt werden, dass alle hoffnungsvoll auf den Bundesparteitag hinwirken wollen, damit die Anträge auf Anerkennung der Säkularen durch die AG 60plus, den Frankfurter Unterbezirk und viele weitere Kreise und OVen von den Delegierten und dem Parteivorstand wahrgenommen werden.

Ohne Widerspruch blieb die Absichtserklärung, die gemeinsame Arbeit als Säkulare Sozis auf jeden Fall fortsetzen zu wollen, und um dies zu unterstreichen, wurde Berlin als nächster Ort für das im Frühjahr 2020 stattfindende Bundesprecherinnentreffen ausgelobt.

LSV-RLP2 (c)hofbbs
Andreas Becke in Aktion (c)hofbbbs
Genosse Dr. Bruno Osuch HVD Berlin (c)hofbbs
Gerhard Lein aus Hamburg (c)hofbbs