Das Kreuz mit der CSU: Horst Dreier zum Neutralitätsgebot

Es ist Wahlkampf in Bayern und die CSU möchte alles tun, um ein zweistelliges Ergebnis für die AfD im Land zu verhindern. Deshalb haben der bayerische Ministerpräsident und sein Kabinett beschlossen, dass ab Juni in allen Ministerien und Behörden Kreuze aufgehängt werden sollen, um die christliche Prägung Bayerns zu betonen. Diese christliche Identitätspolitik wurde just in den Medien, von den anderen politischen Parteien sowie sogar den Kirchen kritisiert, stellt sie doch einen Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Neutralitätsgebot dar (siehe unten). Der CSU-Generalsekretär Markus Blume konterte Kritik jedoch verschwörungsmythisch und spricht gar von einer „unheiligen Allianz der Religionsfeinde und Selbstverleugner“. Dass die CSU mit diesem Wahlkampfmanöver wenig erreichen wird und die bayerische Lesart der Umdeutung religiöser Kreuzesymbolik wohl kaum Freunde findet, steht außer Frage. Für Säkulare bedeutet der auf der Ebene einer Verwaltungsvorschrift vollzogene Kruzifik-Vorstoß eine klare Kampfansage und gesteigerte Motivation, sich jetzt mehr denn je für säkulare Religions- und Weltanschauungspolitik einzusetzen. Dass dies nicht einfach unheilig, sondern verfassungsrechtlich geboten ist, verdeutlich Horst Dreier exklusiv und im Namen der „Eule“.

Eulen-Interview mit Prof. Horst Dreier, Uni Würzburg

Der Rechtswissenschaftler und Verfassungsrechtler Horst Dreier beschäftigt sich vor allem mit Fragen zu Religionsfreiheit, dem Neutralitätsgebot des Staates gegenüber Religionen wie Weltanschauungen und der Geschichte von Grundrechten. Schon 2013 erschien von ihm die wegweisende Schrift „Säkularisierung und Sakralität. Zum Selbstverständnis des modernen Verfassungsstaates“, in der sich gegen sakrale Formen der Begründung von Staat wie Verfassung ausspricht, denn „die Trennung von Politik und Religion ist und bleibt die Basis der Freiheitlichkeit des politischen Gemeinwesens.“ In seinem 2018 neu veröffentlichten Buch „Staat ohne Gott“, zeigt er auf, wie wichtig eine säkulare Selbstvergewisserung in einem Staat mit einer multikulturellen und multireligiösen Gesellschaft ist.

Sehr geehrter Prof. Dreier, Sie haben in Ihrem Buch „Staat ohne Gott. Religion in der säkularen Moderne“ die Vorzüge einer säkularen Staats- und Rechtsordnung betont. Hierzu gehört neben einer umfassenden Religionsfreiheit auch ein Neutralitätsgebot. Wie würden Sie dieses kurz skizzieren?

Das Neutralitätsgebot läßt sich am besten als Verbot der Identifikation des Staates mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung umschreiben, also als Gebot der Nicht-Identifikation. Das betrifft einmal die institutionelle Seite: „Es besteht keine Staatskirche.“ Das verbietet alle Formen institutioneller Verklammerung von Staat und Kirche und statuiert ein Einmischungsverbot. Zum anderen betrifft es die sachliche Nicht-Identifikation. Das heißt schlicht: Religion und Weltanschauung sind Sache des Bürgers, nicht des Staates. Es gibt keine Staatsreligion und keine Staatsweltanschauung. Der Staat darf Religionen und Weltanschauungen weder irgendwie bewerten noch sich mit einer von ihnen identifizieren.

Die CSU in Bayern hat nun vor, in sämtlichen Ämtern und Behörden in Bayern ab Juni wieder Kreuze anbringen zu lassen, damit eine entsprechende christliche Prägung unseres Staates betont wird. Ist das nicht ein Verstoß gegen das Neutralitätsgebot?

Ich sehe darin genau deswegen einen Verstoß, weil hier eine Identifikation des Staates mit einer Religion, der christlichen, vorliegt. Eben dies soll aber durch das Neutralitätsgebot ausgeschlossen sein. Es geht meines Erachtens auch nicht an, dem Kreuz kurzerhand die Eigenschaft als spezifisch religiöses Symbol abzusprechen und es als Inbegriff der bayerischen Identität und Geschichte zu präsentieren. Damit nimmt man ihm seinen existentiellen Sinn und reduziert es auf Folklore.

Zur rechtlichen Präzisierung: Darf die Bayerische Regierung solche Anordnungen durchführen und wie kann man, abgesehen von politischen Aktionen, hier rechtliche Einwände erheben? Besteht die Möglichkeit zu klagen? Wenn ja, für wen?

Das wirft durchaus knifflige rechtliche Fragen auf. In Bayern gibt es ja die Popularklage, die für Gesetze und Verordnungen gibt. Das heißt: jeder kann Normen dieser Art beim Verfassungsgerichtshof auf den Prüfstand stellen. Aber hier handelt es sich rechtlich wohl um einen reinen Organisationserlaß, also eine Art interne Verwaltungsvorschrift. Ob man dieser Außenwirkung beimessen und sie so in den Kreis der überprüfbaren Vorschriften aufnehmen kann, dürfte sehr streitig sein. Aber es wird sich ganz gewiß auf dem einen oder anderen Wege, vielleicht auf dem einer Verfassungsbeschwerde, ein Rechtsweg auftun.

Das Vorhaben in Bayern wird schon von vielen kritisiert und als Wahlkampfmanöver angesehen. Darf man die staatliche Neutralität aus Gründen politischer Taktik derart auf den Prüfstand stellen?

Also da wäre ich zunächst ganz gelassen. Wahlkampfmanöver gehören zur Politik, auch zur demokratischen Politik, hinzu. Und wenn das Ganze letztlich zur Klärung und Schärfung des Neutralitätsgebotes führen würde, hätte wohl niemand etwas dagegen. Aber eines muß auch klar sein: Die Grenze für die Politik formuliert noch immer das Verfassungsrecht.

Sehen Sie in der Aufmerksamkeit, die eine solche Aktion gegenüber einer säkularen Staatsordnung als wichtiges Gut erzeugt, auch etwas Positives? Bietet das Ganze Anlass, eben die Neutralität nicht mehr nur für selbstverständlich zu nehmen?

Ob man die Neutralität wirklich allgemein als selbstverständlich betrachtet, ob man sie wirklich allgemein in ihrem Kern versteht, scheint mir durchaus nicht sicher. Insofern könnten die aktuellen Debatten etwas sehr Positives und Heilsames bewirken, indem sie eine Art von vielleicht durchaus notwendiger Selbstvergewisserung über Grund, Inhalt und Reichweite des Neutralitätsgebotes befördern.